Die aus Berliner und Mainzer Hochschullehrern und Universitätsbediensteten bestehende Jury der 2010 gegründeten Initiative „Anglizismus des Jahres“ hat folgende Ausdrücke zu Anglizismen des Jahres 2015 gewählt. In der Pressemitteilung der Gruppe wird die Wahl der drei Ausdrücke wie folgt begründet:
1. Refugees welcome (Sieger und Publikumsliebling)
2. -(e)xit
3. spoilern
1. Refugees welcome
Der Ausruf „Refugees welcome“ entstand in den neunziger Jahren als politischer Slogan von Flüchtlingsinitiativen in verschiedenen Ländern. Seit Anfang des Jahrtausends findet er sich auch in Deutschland auf Transparenten, Flyern, Aufklebern und T-Shirts linker Aktivisten, sowie als Eigenname verschiedener Vereine und Gruppen.
Seine Ausbreitung in den öffentlichen Sprachgebrauch begann aber erst 2013 mit der zunehmenden Präsenz dieser Gruppen in der intensiver werdenden medialen Diskussion um Flucht und Flüchtlinge.
Seinen endgültigen Durchbruch erfuhr „Refugees welcome“ dann 2015, als sich der Slogan aus seinem ursprünglichen aktivistischen Zusammenhang löste und auf breiter gesellschaftlicher Ebene zu einem sprachlichen Ausdruck gelebter Willkommenskultur und einer selbstbewussten Antwort auf das althergebrachte „Ausländer raus“ des rechten Lagers wurde.
Die Wirkungsmacht des Slogans zeigte sich auch daran, dass er bald zum sprachlichen Bezugspunkt für konservative Kritik an der allgemeinen flüchtlingsfreundlichen Stimmung wurde.
Überzeugt hat die Jury am Slogan „Refugees welcome“ neben seiner öffentlichen Präsenz und seiner zentralen Rolle in der gesellschaftlichen Diskussion um das deutsche Selbstverständnis im Umgang mit Flüchtlingen vor allem, dass hier nicht nur ein Wort, sondern eine ganze Aussage entlehnt wurde.
Firmen verwenden englischsprachige Slogans regelmäßig, um eine globale Rolle des eigenen Unternehmens zu signalisieren. Dass aber die Sprachgemeinschaft von sich aus einen solchen Slogan entdeckt und übernimmt, ist selten. Mit „Refugees welcome“ überwand die deutsche Sprachgemeinschaft einerseits die unmittelbare Sprachbarriere zu den Flüchtlingen und signalisierte andererseits fast nebenbei Weltoffenheit.
Obwohl der Slogan seinen Ursprung im Englischen hat und weiterhin international von Flüchtlingsinitiative und auf Demonstrationen verwendet wird – oft in der längeren Form „Refugees welcome here“, wurde er im Jahr 2015 im deutschen Sprachraum besonders intensiv genutzt.
Einschub von uepo.de zur Neuschöpfung „Rapefugee“:
„Rapefugees not welcome“ Anglizismus des Jahres 2016?
Die Nominierungsphase für den Anglizismus des Jahres endete am 15.12.2015. Schon zwei Wochen später wäre nach den von „Refugees“ verübten Massenstraftaten von Köln womöglich noch die Wortschöpfung „Rapefugee“ vorgeschlagen worden.
Am Silvesterabend hatten vor allem am Kölner Hauptbahnhof, aber auch in zahlreichen anderen deutschen Städten, mehr als tausend Asylbewerber (vor allem aus Marokko) mehrere Hundert Frauen einkesselt, sexuell genötigt und bestohlen. Auf diese im arabischen Raum als „taharrusch dschama’i“ bekannten Straftaten war die deutsche Polizei nicht vorbereitet und konnte die Bürgerinnen nicht schützen.
In den Tagen danach entstand die Wortneuschöpfung „Rapefugee“ als Zusammensetzung aus „rape“ (Vergewaltigung) und „refugee“ (Flüchtling). Auch die Originalgrafik der Refugees-welcome-Bewegung wurde von Unbekannten entsprechend umgestaltet und war unter anderem auf Pegida-Demonstrationen als Plakat und T-Shirt-Beschriftung zu sehen.
Weiter mit der Pressemitteilung zum Anglizismus des Jahres:
2. -(e)xit
Das Wort „Grexit“ als Verschmelzung von „Greece“ (Griechenland) und „exit“ (Ausstieg) gibt es seit Anfang 2012, als zum ersten Mal die Diskussion um einen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone aufkam. Das Wort „exit“ ist hier noch klar zu erkennen.
Mit Austrittsdebatten über immer neue Länder kamen auch immer neue Verschmelzungen hinzu – zum Beispiel „Spexit“ (Spanien), „Brexit“ (Großbritannien), „Eirexit“ (Eire, also Irland), „Euxit“ (Europa), „Fixit“ (Finnland), „Frexit“ (Frankreich), „Huxit“ (Ungarn), „Porxit“ (Portugal) und das nicht ganz ernst gemeinte „Säxit“ (Sachsen).
Die hohe Produktivität dieses Wortbildungsmusters führt zu einer Verselbstständigung des Wortbestandteils „-xit“, bei dem das „e“ von „exit“ nicht mehr unbedingt erhalten bleibt (zum Brexit gibt es z.B. auch die Variante Brixit, zum Spexit auch den Spaxit). So entsteht ein Wortbildungselement „-(e)xit“ mit der Bedeutung „Austritt/Ausschluss aus einer geo-politischen Einheit“.
3. spoilern
Verrät jemand vorab wichtige Teile oder gar das Ende eines Buches oder Films, nennt man die verratene Information im Englischen „spoiler“ (von „to spoil“, verderben). Im Deutschen wurde daraus kurzerhand ein Verb – ein schöner Beleg dafür, dass das Deutsche nicht, wie oft behauptet, hilflos von englischen Lehnwörtern überflutet wird, sondern dass die Sprachgemeinschaft englisches Lehngut aktiv und kreativ ins Deutsche integriert.
Seinen überraschenden Aufstieg in den letzten Jahren hat das Wort zwei Entwicklungen zu verdanken: Erstens tauschen sich Menschen in sozialen Netzwerken zeitnäher und mit größerer Reichweite über ihren Medienkonsum aus, als dies früher der Fall war. So vervielfältigen sich die Gelegenheiten für absichtliches oder unfreiwilliges Spoilern.
Zweitens führt die zunehmend wichtigere Rolle von Streamingdiensten dazu, dass nicht nur Filme und Bücher, sondern auch Fernsehserien nicht mehr von allen gleichzeitig konsumiert werden, was zusätzliche Situationen schafft, in denen die einen das Ende einer Folge oder einer ganzen Serie schon kennen und thematisieren können, während die anderen sie noch nicht gesehen haben.
Über den Wettbewerb „Anglizismus des Jahres“
Sprachgemeinschaften haben überall und zu jeder Zeit Wörter aus anderen Sprachen entlehnt. Als globale Verkehrssprache spielt dabei derzeit das Englische für alle großen Sprachen eine wichtige Rolle als Gebersprache. Die unabhängige Initiative „Anglizismus des Jahres“ würdigt seit 2010 jährlich den positiven Beitrag des Englischen zur Entwicklung des deutschen Wortschatzes. Bisherige Anglizismen des Jahres waren „leaken“ (2010), „Shitstorm“ (2011) und „Crowdfunding“ (2012), „-gate“ (2013) und „Blackfacing“ (2014).
Über die Jury
Anatol Stefanowitsch ist Professor für anglistische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Autor beim populärwissenschaftlichen Sprachlog. Mitglieder der Jury waren die Anglistin Susanne Flach (Freie Universität Berlin, Autorin beim Sprachlog), die Germanistin Kristin Kopf (Universität Mainz, Autorin beim Sprachlog) und der Computerlinguist Adrien Barbaresi (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften).
[Text: Initiative „Anglizismus des Jahres“, ergänzt um den Rapefugee-Absatz von Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilung Anglizismus des Jahres, 2016-01-26. Bild: gemeinfrei (über Wikipedia).]