Es begann 2006 bei dem Kongress „Contrapor2006“ in Lissabon, der von dem portugiesischen Übersetzerverband ATeLP (Associação de Tradução em Língua Portuguesa) und der Universidade Nova de Lisboa ausgerichtet wurde. Susanna Lips (ATICOM-Mitglied), Dorothee Mayer und Tinka Reichmann lernten sich bei dieser Gelegenheit kennen und tauschten ihre überwiegend positiven Eindrücke über den Kongress aus. Bei dem Gespräch wurde auch bedauert, dass es in Deutschland kein einziges Weiterbildungsangebot für Portugiesisch-Übersetzer und Dolmetscher gab. Frau Lips‘ unprätentiöse Frage: „Wollen wir nicht etwas machen?“, legte seinerzeit den Grundstein einer inzwischen seit zehn Jahren bestehenden und sehr aktiven Arbeitsgruppe.
Die erste Veranstaltung war eine Art Testlauf, um festzustellen, ob eine solche Gruppe überhaupt auf Interesse stoßen würde. Bereits beim ersten Workshop erklärte sich ATICOM bereit, die Organisation und Schirmherrschaft zu übernehmen. Tatsächlich: Mit 11 Teilnehmern fand am 24.02.2007 in Köln der erste Workshop „Urkundenübersetzen für Portugiesisch-Übersetzer“ statt. Neben dem Vortrag zur Übersetzung von deutschen Ehe- und Lebenspartnerschaftsverträgen in das Portugiesische stand vor allem die Gruppenarbeit auf dem Programm, in der Textauszüge von Ehe- und Lebenspartnerschaftsverträgen, Scheidungsurteilen, Rechtsmittelbelehrungen und Handelsregisterauszügen übersetzt und besprochen wurden. Anschließend wurden die Gruppenergebnisse im Plenum präsentiert und diskutiert.
Bei der Gruppenarbeit stellte sich sofort das positive Gefühl ein, als geglaubter Einzelkämpfer (endlich!) Gesprächspartner gefunden zu haben, mit denen man fachliche Fragen zu diesem Sprachenpaar diskutieren könne. Auch der Austausch von Erfahrungen, Mustertexten und Terminologielisten wurde in diesem neuen Kreis möglich. Auf Wunsch der Teilnehmer wurde der Tagungsort ab 2008 nach Frankfurt verlegt, um allen eine möglichst gute Verkehrsanbindung zu gewähren. Dort bewährte sich das Kolpinghaus als ein guter Partner, der sowohl Tagungsräume und Bewirtung als auch Unterkunftsmöglichkeiten zu erschwinglichen Preisen anbietet.
Susanna Lips ist es zu verdanken, dass der Kontakt mit ATICOM und dem Kolpinghaus immer reibungslos verlief und die Teilnehmerlisten stets aktualisiert wurden. Ihr gebührt daher nicht nur für die Gründungsidee Dank, sondern auch für die regelmäßige und kompetente organisatorische und inhaltliche Leitung der Veranstaltung. Insgesamt wurden folgende Workshops durchgeführt:
2007 – Ehe- und Lebenspartnerschaftsverträge (11 Teilnehmer)
2008 – Bildungswesen in Brasilien und Portugal, Bildungsnachweise (15 Teilnehmer)
2009 – Gerichtsaufbau in Portugal und in Brasilien (Samstag 17, Sonntag 11 Teilnehmer)
2010 – Strafrecht und Strafprozessrecht in Portugal und in Brasilien, der Portugiesisch-Dolmetscher im Strafverfahren (16 Teilnehmer)
2011 – Neues Scheidungs- und Partnerschaftsrecht in Portugal und in Brasilien, Vorführung eines Dokumentarfilms zum Strafrecht in Brasilien (13 Teilnehmer)
2012 – Wirtschaftsrecht – Schwerpunkt Immobilienwesen (14 Teilnehmer)
2013 – Gesellschaftsrecht in Portugal und in Brasilien, Technische Tools für die Online-Suche und Terminologieverwaltung (20 Teilnehmer)
2014 – Arbeitsrecht in Portugal und in Brasilien (18 Teilnehmer)
2015 – Brasilianisches und deutsches Steuerrecht, Rechtsbehelfe im Vergleich (Deutschland – Portugal) (21 Teilnehmer)
2016 – Erbrecht in Brasilien und Portugal, Textarbeit Rechtsbehelfs¬belehrungen (22 Teilnehmer)
An den Teilnehmerzahlen der letzten vier Veranstaltungen lässt sich eine gewisse Stabilisierung der Gruppengröße ablesen, die für Textarbeiten eigentlich schon ihre Grenzen erreicht hat. Ein sehr hilfreiches Instrument des Austauschs innerhalb der Gruppe ist die 2009 gegründete Yahoo-Mailingliste, über welche allgemeine Fragen, Terminologiefragen oder auch die Suche nach einem Kollegen, der einen Auftrag übernehmen kann, laufen. Nicht selten hat die Anfrage in die Runde zu einer guten Übersetzungslösung beigetragen. Aber auch allgemeine Informationen zu neuen Gesetzen oder Publikationen oder aber Informationsbroschüren werden über die Liste ausgetauscht. Außerdem können auf der Website der Yahoo-Gruppe Dateien gespeichert werden, u. a. eine sehr nützliche Linkliste, die von einer Teilnehmerin gepflegt wird.
Kleinere Arbeitsgruppen von Teilnehmern, die im Laufe des Jahres Material sammeln und/oder Musterübersetzungen anfertigen, leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag. Diese werden oft als Grundlage für Diskussionen beim nächsten Workshop verwendet. Aber auch die Mitschriften während des Workshops und die Nacharbeit sind wichtig, um die vielen wertvollen Informationen zu dokumentieren. So werden im Nachgang zu jedem Workshop Terminologielisten im Excel-Format und Zusatzmaterial (z. B. Gesetzestexte, Informationsbroschüren, Mustertexte oder die Folien der Referate) verschickt. Diese sind für Portugiesisch-Übersetzer vielleicht besonders wichtig, weil das Recherchematerial für unser Sprachenpaar recht überschaubar ist.
Zum Schluss sei noch ein großer Vorteil der Portugiesisch-Gruppe hervorgehoben: Es hat sich über die Jahre (vielleicht durch die Anwesenheit eines „harten Kerns“) eine sehr kooperative Gruppe gebildet, die eine solide Vertrauensbasis aufgebaut hat und bereit ist, ihr Wissen mit den anderen zu teilen. So ist es inzwischen fast eine Selbstverständlichkeit, dass man über die Yahoo-Liste nicht nur Fragen stellt, sondern die Kollegen auch von sich aus über neue Erkenntnisse informiert. Außerdem ist in der Gruppe eine ausgewogene Mischung von deutschen, brasilianischen und portugiesischen Muttersprachlern vertreten, die sich mit unterschiedlichen Erfahrungen und Kenntnissen einbringen.
Dr. Tinka Reichmann
Dieser Beitrag erschien zuerst im FORUM 1/2016, der Mitgliederzeitschrift der ATICOM