Konferenzdolmetscher twittern, es sei „unangenehm und surreal“, eine Trump-Rede zu dolmetschen

Nachdem am 9. November 2016 feststand, dass Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen 2016 gewonnen hatte, waren auf Twitter Mitteilungen von Konferenzdolmetschern der folgenden Art zu lesen: „Der arme Dolmetscher, der gleich die Siegesrede dolmetschen muss.“

Twwt über Trump

Im Blog einer anderen Dolmetscherin ist zu lesen: „Und ich denke jetzt an die Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die derlei übertragen müssen. Der Neugewählte hat oft Sprachniveau und -duktus eines trotzenden Kleinkinds. Das wäre für mich ein komplett neues Wortfeld.“

Eine Kollegin, die offenbar für einen Fernsehsender tatsächlich die Ansprache ins Deutsche zu übertragen hatte, twitterte anschließend: „Interpreting Donald Trump’s victory speech: easily the most unpleasant and surreal experience of my career.“

Tweet über Trump

UEPO-Herausgeber Richard Schneider meint dazu:

Liebe Konferenzdolmetscherinnen und Konferenzdolmetscher,

das Verdolmetschen einer für Trump-Verhältnisse sehr zurückhaltenden und sprachlich völlig unkomplizierten 15-minütigen Dankesrede ist für euch „die unangenehmste und surrealste Erfahrung eurer Dolmetschlaufbahn“? Nur weil der Redner politisch nicht auf eurer Wellenlänge liegt?

Geht es auch eine Nummer kleiner? Das ist Jammern auf ziemlich hohem Niveau. Offenbar lebt ihr in einer ähnlichen Blase wie die politischen Eliten.

Wenn ihr wirklich einmal „unangenehme“ Erfahrungen machen wollt, dann verlasst doch einmal eure kuschelige Dolmetschkabine und arbeitet für die Polizei, die Gerichte, in Gefängnissen oder für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Wer dort dolmetscht, macht tagtäglich unangenehme Erfahrungen – vom beschimpft oder bedroht werden bis hin zu körperlichen Angriffen. Von den oft sehr niedrigen Honoraren ganz zu schweigen.

Bei Mord-, Vergewaltigungs- oder Kindesmissbrauchsfällen zu dolmetschen oder bei entsprechenden Therapien sprachlich zu vermitteln, das ist „unangenehm“. Aber für solche Einsätze scheinen sich VKD- und AIIC-Mitglieder grundsätzlich zu fein zu sein.

Und ist es wirklich klug, in öffentlichen Foren über (indirekte oder potenzielle) Kunden zu lästern und seine politische Einstellung kundzutun?

Angestellte und erst recht verbeamtete Übersetzer und Dolmetscher bemühen sich aus gutem Grund, im Netz möglichst keine Spuren zu hinterlassen. Sie wissen, dass ein falscher Tweet das Karriere-Ende bedeuten kann. Freiberufler sind ihr eigener Arbeitgeber und sehen das sehr viel entspannter – manchmal zu entspannt.

Zwar ist es für die eigene Karriere zurzeit ungefährlich und sogar förderlich, gegen alles zu sein, was vermeintlich „rechts“ von der politischen Mitte einsortiert werden kann, aber der Zeitgeist ändert sich.

Und das Netz vergisst nie. Irgendwann wird auch der neu gewählte amerikanische Präsident einmal nach Deutschland kommen. Dann wird er sicherlich nicht Dolmetscher beauftragen, von denen bekannt ist, dass sie ihn hassen und verachten.

P.S. Ich bin gebeten worden, die Twitter-Zitate zu anonymisieren. Der Bitte komme ich gerne nach, da es hier nicht um die zitierten Kolleginnen geht, sondern um ein grundsätzliches Verhalten in Sozialen Netzwerken.

Richard Schneider