71-jähriger Gabelstaplerfahrer als Tigrinya-Dolmetscher: Zeitung spricht von „peinlichem Auftritt“

JustitiaGroß ist die Not bei Behörden und Justiz, die ungeregelten Einwanderungsströme sprachlich zu bewältigen. Auf Platz 8 der Herkunftsländer lag 2015 Eritrea. Für die meist Tigrinya sprechenden Afrikaner gibt es besonders wenige qualifizierte Dolmetscher und Übersetzer.

Der mit 7.500 Mitgliedern größte Berufsverband für Übersetzer und Dolmetscher hat in seinen Reihen lediglich einen einzigen Sprachmittler für diese Sprache. In der von den Gerichten geführten Datenbank sind es bundesweit immerhin 61. Aber auch das sind viel zu wenige.

Denn alleine 2015 übersiedelten nach Angaben von Pro Asyl rund 11.000 Eritreer nach Deutschland. Hinzu kommen mehrere Tausend in den Jahren davor und danach eingewanderte Tigrinya-Sprecher.

Laiendolmetscher als Polizei- und Gerichtsdolmetscher oft überfordert

Und so häufen sich Berichte über Dolmetscheinsätze von Laien, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Unter der Überschrift „Flüchtling vor Gericht – Vermeintlicher Dolmetscher mit peinlichem Auftritt“ berichtet die Halterner Zeitung:

Mit einem peinlichen Dolmetscher-Auftritt ist am Landgericht Essen am Mittwoch der Prozess um einen Messerangriff in der Flüchtlingsunterkunft am Lorenkamp fortgesetzt worden. Der Mann war kaum zu verstehen.

 

Als die Richter den 71-Jährigen nach seinem Alter fragten, verstand fast jeder im Saal eine andere Zahl. Und als er seinen früheren Beruf angeben sollte, war er praktisch gar nicht mehr zu verstehen.

 

Rund 30 Jahre ist der Mann, der als Gabelstaplerfahrer gearbeitet hat, schon in Deutschland. Warum ausgerechnet er von der Polizei als Dolmetscher ausgewählt worden ist, ist unklar. Der 71-Jährige hatte nach eigenen Angaben keinerlei Gerichtserfahrung.

In dem Prozess geht es um eine Messerstecherei unter den Insassen einer Flüchtlingsunterkunft.

Aussagen oft nicht verwertbar, weil Angeklagte behaupten, es handle sich um Fehlübersetzungen

„Bevor der mich tötet, bringe ich den lieber selbst um. Ich wollte ihm in den Bauch stechen“, gab der Angeklagte bei der ersten Vernehmung der Polizei zu Protokoll. Davon will er vor Gericht jetzt aber nichts mehr wissen. Das habe er so nicht gesagt. Das müsse falsch übersetzt worden sein. Er habe nur mit dem Messer herumgefuchtelt, um sich zu verteidigen.

Das Gericht muss nun klären, ob es sich bei dem Vorfall um einen versuchten Totschlag oder um eine gefährliche Körperverletzung gehandelt hat. Der Kontrahent des Messerstechers war bei der Auseinandersetzung leicht verletzt worden.

[Text: Richard Schneider. Quelle: Halterner Zeitung, 2017-04-27. Bild: Richard Schneider.]