Die in der Aktion „Unwort des Jahres“ zusammengeschlossene Professorengruppe um Nina Janich hat soeben die Unwörter des Jahres 2017 bekannt gegeben. Auf Platz 1 landet der Ausdruck „alternative Fakten“, auf 2 und 3 folgen „Shuttle-Service“ und „Genderwahn“. Nachfolgend die Pressemitteilung im Wortlaut:
Unwort des Jahres: „alternative Fakten“
Die Bezeichnung „alternative Fakten“ ist der verschleiernde und irreführende Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen.
Zwar ist der Ausdruck nur aus dem US-amerikanischen Kontext und dort nur aus einem einzelnen Redebeitrag belegt: Die Trump-Beraterin Kellyanne Conway bezeichnete die falsche Tatsachenbehauptung, zur Amtseinführung des Präsidenten seien so viele Feiernde auf der Straße gewesen wie nie zuvor bei entsprechender Gelegenheit, als „alternative Fakten“.
Der Ausdruck ist seitdem aber auch in Deutschland zum Synonym und Sinnbild für eine der besorgniserregendsten Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch, vor allem auch in den sozialen Medien, geworden: „Alternative Fakten“ steht für die sich ausbreitende Praxis, den Austausch von Argumenten auf Faktenbasis durch nicht belegbare Behauptungen zu ersetzen, die dann mit einer Bezeichnung wie „alternative Fakten“ als legitim gekennzeichnet werden.
Mit der Wahl dieser Wortverbindung zum Unwort des Jahres 2017 schließen wir uns daher den kritischen Stimmen in Deutschland an, die durch den im Deutschen fast ausschließlich distanzierenden Gebrauch des Ausdrucks warnend auf diese Tendenzen in der öffentlichen Kommunikation hinweisen. Der Ausdruck wurde 65-mal eingeschickt.
Außerdem werden als Unwörter kritisiert:
„Shuttle-Service„: Zu den Seenotrettungseinsätzen von Nichtregierungsorganisationen im Mittelmeer für Menschen, die in Schlauchbooten flüchten, äußerte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer, diese bedeuteten „de facto […] ein[en] Shuttle-Service zum italienischen Festland beziehungsweise den italienischen Inseln“.
Mit dem Ausdruck „Shuttle-Service“ werden sowohl die flüchtenden Menschen als auch vor allem diejenigen diffamiert, die ihnen humanitäre Hilfe leisten. Diese Hilfe wird mit dem Ausdruck „Shuttle-Service“ als eine Dienstleistung dargestellt, die Flüchtlinge erst zur lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer ermuntere, was die Jury für zynisch hält.
Der Ausdruck „Shuttle-Service“ steht stellvertretend für Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch, die Grenzen des Sagbaren in eine menschenverachtende, polemisch-zynische Richtung zu verschieben.
„Genderwahn„: Mit dem Ausdruck „Genderwahn“ werden in konservativen bis rechtspopulistischen Kreisen zunehmend Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit (von geschlechtergerechter Sprache über „Ehe für alle“ bis hin zu den Bemühungen um die Anerkennung von Transgender-Personen) in undifferenzierter Weise diffamiert.
Unwort-Statistik 2017
Die Jury erreichten 2017 insgesamt 1316 Einsendungen. Darunter waren 684 verschiedene Ausdrücke, von denen ca. 80 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen.
Außerdem erhielt das diesjährige Jury-Mitglied Barbara, eine mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete anonyme Street Art-Künstlerin, ca. 3500 Postings von möglichen Unwörtern über die sozialen Netzwerke.
Die zehn häufigsten Einsendungen aus den Zuschriften an die Jury, die allerdings nicht zwingend den Kriterien der Jury entsprechen, waren: Babycaust [122 Mal], alternative Fakten [65 Mal], Nazi [34 Mal], Sondierungsgespräche [27 Mal], ergebnisoffen [21 Mal], Jamaika-Koalition [18 Mal], atmender Deckel [16 Mal], Obergrenze [16 Mal], Fake News [16 Mal] und Bio-Deutsche(r) [15 Mal].
Jury-Mitglieder
Die Jury der institutionell unabhängigen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus folgenden Mitgliedern: den vier Sprachwissenschaftlern Prof. Dr. Nina Janich/Sprecherin (TU Darmstadt), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie dem Autor und freien Journalisten Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr die anonyme Street Art-Künstlerin Barbara beteiligt.
Kritik an Unwort-Jury: auf dem linken Auge blind
Sprachliche Verrenkungen, verlogene Worthülsen, verbrämende Wortneuschöpfungen, Euphemismen und Unwörter gibt es in allen politischen Milieus. Schade ist, dass der von Darmstadt aus geleitete Professorenclub Jahr für Jahr alle Unwörter, die der linken Seite des politischen Spektrums entspringen, grundsätzlich ignoriert.
Der der CDU nahestehende und aus Talkshows und Journalistenrunden bekannte Publizist Hugo Müller-Vogg schrieb schon im Jahr 2015:
Eine von niemandem gewählte oder irgendwie legitimierte Professoren-Jury hat sich als Sprachpolizei etabliert. Jedes Jahr bestimmt sie ein ‚Unwort des Jahres‘. […] Es ging stets um eine bestimmte Politik, die der Jury nicht links genug ist. So einfach ist das – und so typisch gutmenschlich.
Und die AfD Heidelberg twitterte zur heutigen Bekanntgabe der Unwörter des Jahres:
Weiterführender Link
[Text: Aktion Unwort des Jahres. Quelle: Pressemitteilung Aktion Unwort des Jahres, 2018-01-16. Bild: Aktion Unwort des Jahres.]