„Wie eine tote Ratte im Mund“ – Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis 2020 geht an Miriam Mandelkow

Miriam Mandelkow
Miriam Mandelkow wurde 1963 in Amsterdam geboren und kam mit sechs Jahren nach Hamburg, wo sie heute noch lebt. Sie studierte Anglistik und Amerikanistik in den USA. - Bild: Ebba Drolshagen

Logo FreundeskreisFür ihre Übersetzung von James Baldwins Debütroman Von dieser Welt (erschienen 2018 bei dtv) wird die Hamburger Übersetzerin Miriam Mandelkow mit dem 22. Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis ausgezeichnet.

Der Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen würdigt damit zugleich ihre weiteren herausragenden Neu-Übertragungen der Werke von James Baldwin.

Die Jury, der die Übersetzer Christel Hildebrandt, Olga Radetzkaja und Nikolaus Stingl sowie der Romanist Albrecht Buschmann und der Literaturkritiker Tobias Rüther angehören, schreibt zur Begründung:

James Baldwin, Von dieser WeltMiriam Mandelkow gelingt es auf beeindruckende Weise, die Sprachmelodien zum Klingen zu bringen, die James Baldwins Debütroman tragen. Von dieser Welt erzählt die Familiengeschichte eines schwarzen Jungen im Harlem der Nachkriegszeit: John sucht seinen Platz in einer Welt, deren Grenzen ihm einerseits die Rassentrennung, andererseits die Gottesfurcht seines tyrannischen Vaters setzen. Baldwins einzigartigen Sound zwischen Bibel und Slang hat die Übersetzerin mit sicherem rhythmischem und stilistischem Gespür in unsere Gegenwart transportiert, ohne den Text unangemessen zu aktualisieren. Miriam Mandelkow setzt mit ihrer kraftvollen und klugen Neuübertragung die Wiederentdeckung des amerikanischen Klassikers Baldwin fort, die wir in entscheidendem Maß ihr verdanken.

Preisübergabe im Juni – Wegen Corona „in kleinstem Kreis“

Der mit 12.000 Euro dotierte Preis wird alle zwei Jahre vom Freundeskreis für eine herausragende Prosa-Übersetzung ausgeschrieben.

Die Verleihung hätte am 20. Juni 2020 im Rahmen der Jahrestagung des Literaturübersetzerverbandes VdÜ, dem „Wolfenbütteler Gespräch“, stattfinden sollen. Die mehrtägige Großveranstaltung musste wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie jedoch abgesagt werden. Die Übergabe soll deshalb zwar ebenfalls am 20. Juni, aber in kleinstem Kreis erfolgen.

Benannt ist der Preis nach dem William-Faulkner-Übersetzer Helmut M. Braem, der von 1964 bis 1976 dem Verband deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ) vorstand und 1969 zu den Mitbegründern des Verbands deutscher Schriftsteller gehörte.

Deutsche Sprache lag ihr als Jugendlicher „wie eine tote Ratte im Mund“

Miriam Mandelkow arbeitete zehn Jahre lang als Lektorin für Verlage, bevor sie 2010 ins Übersetzerfach wechselte. Sie übersetzt aus dem Englischen ins Deutsche, musste sich den Zugang zu dieser Sprache aber erst erarbeiten.

Mandelkow kam in Amsterdam zur Welt und ist als Kind die ersten sechs Jahre mit Niederländisch aufgewachsen. Erst mit dem Umzug nach Hamburg erfolgte in der Schulzeit der Wechsel zum Deutschen.

Im unten verlinkten Gespräch mit dem Südwestrundfunk antwortet sie auf die Frage „In welcher Sprache fühlen Sie sich zu Hause?“:

Bevor ich nach Amerika gegangen bin, habe ich Deutsch gehasst. Ich hatte eine zeitlang das Gefühl, das Deutsche liegt mir wie eine tote Ratte im Mund. Das hat natürlich mit der [mütterlicherseits jüdischen] Familienbiografie zu tun, vielleicht auch noch mit anderen Dingen. Ich fand Deutsch feindselig, schroff und unpersönlich. Mich hat gar nichts gewundert, dass mit dieser Sprache so vieles möglich war. Ich musste raus und bin dann [beim Studium] in Amerika tatsächlich sehr eingetaucht [in eine andere Sprache].

„Mit dem Deutschen ist sehr viel mehr möglich, als ihm gemeinhin zugetraut wird“

Die Moderatorin fragt: „Aber wann und wie haben Sie dann die deutsche Sprache wieder oder überhaupt lieben gelernt?“ Die Antwort von Mandelkow:

Tatsächlich, als ich mich dem Übersetzen gewidmet habe und feststellen musste, erstens, dass dieser Beruf überhaupt nicht möglich ist, wenn man die Sprache, mit der man hauptsächlich arbeitet, nicht liebt auf eine Weise. Liebe kann man ja selber definieren.

Und auch festzustellen – mit jedem Buch mehr und immer noch – wie viel möglich ist und wie viel man selbst gestalten kann. Und dass mit dem Deutschen sehr viel mehr möglich ist, als ihm gemeinhin zugetraut wird. Und dass man es formen und kneten kann und auch ärgern und zippeln. Nach und nach habe ich mir ein deutsches Zuhause gebaut.

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rs, Freundeskreis