In seiner Heimat Polen erlangte er durch seine legendären Lesungen Kultstatus: Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki trägt seine Gedichte flüsternd vor, den Oberkörper weit nach vorne gebeugt, sich im Ausfallschritt wiegend. Der polnische Autor wird nun mit dem Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie ausgezeichnet.
Die Jury würdigt ihn sowie seinen Übersetzer Michael Zgodzay und seine Übersetzerin Uljana Wolf für den polnisch-deutschen Gedichtband Norwids Geliebte (2019, Verlag Edition Korrespondenzen, Wien). Ein Band, dessen Übersetzung „die Gedichte ans deutsche Ufer trägt“, so das Juryurteil. Der Rat der Stadt hat den Vorschlag der Jury bestätigt.
Gewürdigt werde mit Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki ein Lyriker, der „biografische Erlebnisse, zugleich Schreckensspuren der Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa“, zum „Movens seiner Dichtung“ mache, so die Jury in ihrer Begründung. Er habe ein „ausgeprägtes Gespür für die Brisanz aktueller gesellschaftlicher Prozesse und ihrer Tiefendimension“. Er umkreise in seinen Gedichten „schonungslos und obsessiv“ die Themen „Tod, Eros und Krankheit“, so die Jury. „Insistierend suchen sie nach dem genuinen Wesen von Poesie.“
Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki wurde 1962 an der Grenze von Polen und der Ukraine in Wólka Krowicka geboren. In seinen Gedichten erzählt er vom Leben in seinem Heimatdorf, von seinem tyrannischen Vater und von seiner schizophrenen Mutter. Sie flüchtete sich nicht nur in den Alkoholismus, sondern dachte, sie sei die Geliebte des romantischen Dichters Cyprian Kamil Norwid. In der Jurybegründung heißt es: „Die Poesie wurde ihr und ihrem Sohn zum hellen Haus.“
Für seine Gedichte wurde der in Warschau lebende Lyriker Tkaczyszyn-Dycki sowohl in seiner Heimat als auch in Deutschland vielfach mit Preisen bedacht, darunter auch mit dem Nike-Literaturpreis, der bedeutendsten literarischen Auszeichnung Polens.
Übersetzungsleistung von Zgodzay und Wolf „verlustlos und sprachsicher“
Mit Michael Zgodzay und Uljana Wolf werden zwei Übersetzer gewürdigt, die Tkaczyszyn-Dycki Gedichte „verlustlos und sprachsicher, mit untrüglichem Sinn für Gestus, Rhythmus und Klangfarbe des Originals“ ins Deutsche übertragen haben, so das Juryurteil. Die Gedichte würden auch in der Übersetzung durch „ihre Sprachmacht und Eindringlichkeit, ihre poetische Kraft und formale Kompromisslosigkeit ungebrochen beeindrucken“. Uljana Wolf erhält nach 2019 ein zweites Mal den Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie.
Preisgeld wird zwischen Autor und Übersetzern geteilt
Der Preis ist mit 15.500 Euro dotiert. Er geht jeweils zur Hälfte an den Autor und die Übersetzer und wird zum Abschluss des Internationalen Lyrikertreffens Münster am 9. Mai 2021 überreicht.
Seit 1993 vergibt die Stadt Münster im Biennale-Rhythmus diese Auszeichnung. Zur Jury gehören Urs Allemann, Dr. Maren Jäger, Cornelia Jentzsch, Johann Peter Tammen, Norbert Wehr und – mit beratender Stimme – Beate Vilhjalmsson. Preisträger waren zuletzt der russisch-amerikanische Lyriker Eugene Ostashevsky und seine Übersetzerinnen Monika Rinck und Uljana Wolf.
Stadt Münster