Der Anglizismus des Jahres 2020 ist das Wort Lockdown (Sieger und Publikumsliebling). Auf Platz zwei landen die Ausdrücke Social Distancing, Superspreader, Homeoffice, Homeschooling und Shutdown.
Platz 1: Lockdown
Das Wort Lockdown bezeichnet im Deutschen eine Mischung aus mehr oder weniger strengen Ausgangsbeschränkungen, Einschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit und Kontaktbeschränkungen bei gleichzeitigem Schließen ausgewählter öffentlicher Einrichtungen.
Nachdem zu Beginn der Pandemie zunächst Umschreibungen wie „Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie“ oder „Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus“ verwendet werden, verbreitet sich ab der zweiten Märzhälfte dann schnell das Wort Lockdown. Ein weiterer starker Häufigkeitsanstieg findet sich ab Oktober. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist es fester Bestandteil des Deutschen.
Im Englischen findet sich das Wort ab den frühen 1970er Jahren zunächst für Situationen, in denen die Insassen eines Gefängnisses ihre Zellen für einen längeren Zeitraum nicht verlassen dürfen, etwa nach einem Aufstand. Ab den 1980er Jahren bezeichnet es auch Situationen, in denen ein ganzes Gebiet aus Sicherheitsgründen abgeriegelt und die Bewegungsfreiheit innerhalb des Gebietes eingeschränkt wird.
In dieser Bedeutung kommt es gelegentlich auch im Deutschen vor, z.B. in Berichten über Amokläufe an US-amerikanischen Schulen. Im Zuge der COVID-19-Pandemie erweitert sich die Bedeutung auf die oben genannte Mischung aus Maßnahmen und wird in dieser Bedeutung ins Deutsche entlehnt.
Überzeugt hat die Jury am Wort Lockdown neben der zentralen Rolle, die es in der Diskussion um die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie spielt, seine schnelle Integration in den Wortschatz des Deutschen und das für Lehnwörter typische Eigenleben, dass es im Deutschen entwickelt.
Schon kurz nach der Entlehnung taucht es in zusammengesetzten Wörtern wie Lockdown-Regeln, Lockdown-Lockerungen, Lockdown-Verstöße und Lockdown-Gegner. Später kommen auch Wörter hinzu, die Auswirkungen der Maßnahmen beschreiben, wie Lockdown-Frisur, Lockdown-Kilos und Lockdown-Blues. Auch Adjektive vie lockdownbedingt und lockdownähnlich finden sich schon im April, und im Mai kommt das Verb lockdownen (mit dem Partizip gelockdownt) hinzu.
Interessant ist auch, dass anfänglich darüber diskutiert wird, ob die in Deutschland ergriffenen Maßnahmen umfassend genug seien, um sie mit diesem Wort zu bezeichnen. Im Zuge dieser Diskussion etablieren sich abstufende Ausdrücke wie harter Lockdown und weicher Lockdown, Teillockdown und Lockdown light.
Platz 2: Social Distancing, Superspreader, Homeoffice, Homeschooling, Shutdown
Der Wortschatz des Deutschen hat im Zuge der COVID-19-Pandemie mit einer nur selten zu beobachtenden Geschwindigkeit erweitert und verändert. Dabei haben auch englische Lehnwörter eine wichtige Rolle gespielt. Um den Umfang der Veränderungen hervorzuheben, hat die Jury in diesem Jahr eine Auswahl von fünf Wörtern gleichberechtigt auf den zweiten Platz gesetzt.
Am Wort Social Distancing, einem Fachbegriff aus der Pandemiebekämpfung, entfaltet sich Anfang des Jahres eine Diskussionen darum, ob eine Einschränkung physischen Kontakten im Kommunikationszeitalter eigentlich noch eine Einschränkung von Sozialkontakten bedeuten müsse. Das Wort hält sich aber nicht lange und wird schnell durch das weniger zu Diskussionen anregende Kontaktbeschränkungen ersetzt.
Das Wort Superspreader, das eine infizierte Person bezeichnet, die den Krankheitserreger an eine große Zahl von Personen weitergibt, findet sich sowohl in trockenen wissenschaftlichen Erklärungen der Entstehung von Pandemien als auch – mit moralischem Unterton – bei der Suche nach Schuldigen („Sind junge Leute rücksichtslose Superspreader?“, „die enthemmte, zügellose Welt der Superspreader von Ischgl“ usw.).
Das Wort Homeoffice, im Englischen eine Bezeichnung für ein häusliches Arbeitszimmer, wird im Pandemiejahr 2020 im Deutschen als Teil der neu entstandenen Redewendung Homeoffice machen zu einem Synonym für ein lockdownbedingtes Arbeiten zu Hause (und dort, mangels Arbeitszimmers, eher in der Küche, dem Wohn- oder gar Schlafzimmer).
Das Wort Homeschooling, eigentlich eine Bezeichnung für eine in Deutschland randständige Praxis, bei der Eltern ihre Kinder zu Hause unterrichten, um sie aus dem staatlichen Schulsystem herauszuhalten, wurde schnell ein Sammelbegriff für mehr oder weniger strukturierte Schulersatzaktivitäten, die vom Unterricht per Videokonferenz bis zum von verzweifelten Eltern beaufsichtigten Abarbeiten von Arbeitsblättern reichten.
Das Wort Shutdown schließlich beginnt als aussichtsreicher Partner des Wortes Lockdown, das die Aufmerksamkeit eher auf das Herunterfahren des öffentlichen Lebens als auf Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gerichtet hätte. Es kann sich aber mit seinem potenziellen Beitrag zu einer Bedeutungsdifferenzierung im allgemeinen Sprachgebrauch (bisher) nicht durchsetzen.
Über den Wettbewerb „Anglizismus des Jahres“
Die unabhängige Initiative „Anglizismus des Jahres“ würdigt seit 2010 jährlich den positiven Beitrag des Englischen zur Entwicklung des deutschen Wortschatzes. Bisherige Anglizismen des Jahres waren leaken (2010), Shitstorm (2011), Crowdfunding (2012), die Nachsilbe -gate (2013), Blackfacing (2014), Refugees Welcome (2015), Fake News (2016), Influencer (2017), Gendersternchen (2018) und … for future (2019).
Juryvorsitzender und Gründer der Initiative ist Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Unterstützt wird er seit 2010 von der Anglistin Dr. Susanne Flach (Universität Zürich) und der Germanistin Dr. Kristin Kopf (IDS Mannheim/Universität Münster).
Lexikografisch wird die Wörterwahl durch PD Dr. Alexander Geyken und Dr. Lothar Lemnitzer von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften begleitet, die am Zentrum für digitale Lexikografie der deutschen Sprache (ZDL) am Aufbau eines frei zugänglichen digitalen Informationssystems zum deutschen Wortschatz in Geschichte und Gegenwart arbeiten.
Vervollständigt wird die Jury durch Dr. Marc Kupietz, Leiter des Bereichs Korpuslinguistik am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim, der zuverlässige Häufigkeitsdaten zu den Wortkandidaten bereitstellt.
AdJ