Johann Georg Hamann: „Ohne Wort keine Vernunft – keine Welt“ – Bestimmt Sprache Denken?

Johann Georg Hamann
Johann Georg Hamann (1730 - 1788) ließ sich hier - warum auch immer - im Schlafgewand mit Kopftuch porträtieren. - Bild: Johann-August-Bibliothek Wolfenbüttel (Hintergrund retuschiert)

Bestimmt Sprache, was wir denken und wie? Oder gibt sie dem Denken erst nachträglich Stimme und Sätze? Vollzieht sich Denken sprachlich? Wie stehen Wort und Vernunft zur Welt, wie zur biologischen Hardware, dem Gehirn? Und was hat es mit der Sprache der Poesie auf sich?

In einem Tagungsband gehen Wissenschaftler und Schriftsteller allgemeinverständlich diesen Grundfragen menschlicher Selbstreflexion nach, auf dem Stand aktueller Forschung und literarischer Praxis – und mit Blick auf den Philosophen und Schriftsteller Johann Georg Hamann.

Vernunft ist sprachlich verfasst

Der „Magus in Norden“ hat bereits im 18. Jahrhundert behauptet, dass die Vernunft sprachlich verfasst sei und jede Sprache eine eigene Sichtweise auf die Welt eröffne. Sprachwisssenschaft und Sprachphilosophie teilen diese Auffassung heute, Neuro- und Psycholinguistik bestätigen sie experimentell. Spätestens seit Hamann scheint die Dichtung das gewusst zu haben.

Der Band versammelt die Originalbeiträge zu den „Magus-Tagen Münster 2010“, außerdem die ausgezeichnete Antwort auf die Magus-Preisfrage zur poetischen Vernunft, einen Vortrag des ersten Hamann-Forschungspreisträgers zu den Anfängen von Perspektivismus und Toleranz in Europa sowie provokante Überlegungen eines russischen Hamann-Philologen aus Königsberg (Kaliningrad) zur Kant-und-Hamann-Stadt „Kenig“.

„Vernunft ist Sprache, Logos, an diesem Markknochen nag’ ich und werde mich zu Tode drüber nagen“, bekannte Johann Georg Hamann (1730–1788) aus Königsberg und behauptete darüber hinaus: „Ohne Wort, keine Vernunft – keine Welt“.

Hamann verdiente seinen bescheidenen Lebensunterhalt auch als Übersetzer

Sprache war das Kernproblem des unorthodoxen Protestanten und polyglotten Stotterers, der in preußischen Staatsdiensten, als Übersetzer und Packhofverwalter am Königsberger Zoll, seinen Lebensunterhalt verdiente – und als „Magus in Norden“ Geistesgeschichte schrieb.

In London, psychisch und sozial abgestürzt, erlebte der Melancholiker beim Lesen der Bibel eine „Wiedergeburt“. Fortan definierte sich Hamann als Schriftsteller und „Philologe des Kreuzes“, in eigenartiger Mischung aus Sensualismus und Luthertum.

Aus dem Logos-Glauben an die Einheit des Wortes im göttlichen Schöpfungswort, in der Natur, der menschlichen Sprache und Vernunft kritisierte er die Aufklärung und entwickelte Gedanken zur Sprache.

Sie wurden erst später landläufig, etwa unter den Begriffen „Natursprache“, „linguistic turn“ oder „linguistischer Relativismus“. Noch heute sind im Ausgang von Hamanns Texten in Wissenschaft und Dichtung grundlegende Fragen zum Problem der Sprache mit Gewinn zu stellen.

Hamann verbrachte sein letztes Lebensjahr in Münster, wo sich heute sein Grab und große Teile seines Nachlasses befinden.

Tagungsband mit Originalbeiträgen

Hamann-BuchDer Band enthält Beiträge von:

  • Johann Georg Hamann, Schriftsteller
  • Eric Achermann, Literaturwissenschaftler
  • Wladimir Gilmanov, Literaturwissenschaftler
  • Christian Lehnert, Schriftsteller
  • Elisabeth Leiss, Sprachwissenschaftlerin
  • Sibylle Lewitscharoff, Schriftstellerin
  • Sabine Marienberg, Sprachphilosophin
  • Jutta Mueller, Neurolinguistin
  • Hugh Barr Nisbet, Literaturwissenschaftler
  • Barbara Schmiedtová, Psycholinguistin
  • Sabine Scho, Schriftstellerin
  • Jürgen Trabant, Sprachwissenschaftler
  • Peter Waterhouse, Schriftsteller

Bibliografische Angaben

  • Susanne Schulte (Hg., 2011): Ohne Wort keine Vernunft – keine Welt. Bestimmt Sprache Denken? Schriftsteller und Wissenschaftler im Wortwechsel mit Johann Georg Hamann. Münster: Waxmann. 392 Seiten, 22,50 Euro, ISBN 978-3-8309-7599-1. Auch als E-Book erhältlich.

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