ATICOM hat Selbstauflösung beschlossen – Verbandsaktivitäten sind bereits eingestellt

ATICOM aufgelöst
Bild: UEPO.de

Der 1997 unter dem Namen ATICOM gegründete Fachverband der Berufsübersetzer und Berufsdolmetscher e.V. hat am 17. Juni 2023 auf seiner Mitgliederversammlung die Selbstauflösung beschlossen. Dies war von der Vorsitzenden Ivona Stelzig im Namen des Vorstands vorgeschlagen worden. Geschäftsführer war zuletzt der frühere langjährige Vorsitzende Reiner Heard.

Der Beschluss ist bereits rechtskräftig, die Verbandstätigkeiten sind eingestellt. Die Website unter aticom.de ist noch aufrufbar, soll aber Ende November abgeschaltet werden. Die Liquidation wird noch einige Monate in Anspruch nehmen, zumal ein Sperrjahr bis zur Löschung aus dem Vereinsregister gesetzlich vorgeschrieben ist.

Nach Angaben von Stelzig habe man die Entscheidung erst nach langem Hin und Her und schweren Herzens getroffen, denn man könne auf viele Jahre erfolgreicher Arbeit zurückblicken.

Die Gründe dafür, die Verbandsarbeit nicht mehr wie gewohnt fortsetzen zu können, seien vielfältig und auch bei anderen Verbänden spürbar. Bei der ATICOM kommt ein über die Jahre stetiger Mitgliederverlust hinzu – von einst vermutlich rund 600 auf zuletzt offenbar noch 125.

ATICOM ist Geschichte
Hinweis auf der Website der ATICOM im September 2023. – Bildschirmfoto

Gründe

(1) Babyboomer verabschieden sich in Ruhestand

Die geburtenstarken Jahrgänge verlassen zurzeit aus Altersgründen den Beruf, ohne dass auf der anderen Seite Branchennachwuchs in gleicher Zahl nachrückt. Das sind zwei mächtige, langfristige und nicht umkehrbare Trends, die sich gegenseitig verstärken. Die Folge: Die Berufsverbände – auch der BDÜ – verzeichnen bereits rückläufige Mitgliederzahlen. Ein Trend, der sich in den kommenden Jahren noch deutlich verstärken dürfte.

(2) Studierendenzahlen rückläufig

Besonders gravierend erscheint der schon seit mehr als zehn Jahren anhaltende Rückgang der Studierendenzahlen in den Übersetzerstudiengängen. Dieser war zunächst auf die Umstellung der Diplom-Studiengänge auf das europäische Bachelor/Master-System zurückzuführen. Immer weniger Studenten setzen auf einen Übersetzungs-Bachelor noch einen Übersetzungs-Master drauf. Stattdessen machen sie von der Flexibilität des neuen Systems Gebrauch und studieren im Master lieber Betriebswirtschaft oder ein anderes nichtsprachliches Fach.

Seit einigen Jahren kommt durch den Siegeszug der Maschinellen Übersetzung (z. B. DeepL) und die Einführung weiterer Systeme der Künstlichen Intelligenz (wie ChatGPT) ein zusätzlicher Aspekt hinzu: Studieninteressierte zeigen sich zunehmend verunsichert, zweifeln an der Zukunftsfähigkeit des Übersetzerberufs und entscheiden sich für einen anderen Studiengang.

(3) Kaum jemand ist noch bereit, ein Ehrenamt zu übernehmen

Von der seit vielen Jahren mangelnden und weiter abnehmenden Bereitschaft, Ehrenämter zu übernehmen, sind kleine Verbände wie die ATICOM mit nur knapp dreistelligen Mitgliederzahlen in besonderem Maß betroffen. Denn es ist rechtlich nicht möglich – auch nicht für einen begrenzten Zeitraum -, einen Verein zum Beispiel ohne Vorsitzenden oder Schatzmeister zu betreiben.

Die in der Satzung genannten Organe eines Vereins müssen ordnungsgemäß besetzt sein, sonst wird der Verein auch gegen den Willen der Mitglieder vom Registergericht aufgelöst. Dem kommt man überlicherweise mit einer Selbstauflösung zuvor.

Selbst große Verbände geraten zunehmend in Schwierigkeiten

Auch dem mehr als 7.500 Mitglieder starken BDÜ gelingt es schon seit Jahren nicht mehr, alle Vorstands- und Referentenposten zu besetzen. So verfügt der größte deutsche Sprachmittlerverband in den turbulenten Zeiten des misslungenen Gerichtsdolmetschergesetzes schon seit zwei Jahren über keinen Referenten für das Gerichtsdolmetschen. Stattdessen muss er zusehen, wie andere Verbände wie vor allem der ADÜ Nord in dieser Frage die Diskussion bestimmen.

Die mehr als 800 Mitglieder zählende Universitas Austria bot ihren Mitgliedern im September 2022 auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung unter anderem die Option „Auflösung des Verbandes“ an, weil sich keine Nachfolger für Vorstandsämter fanden. Man entschied sich dann, eine bezahlte Geschäftsführung einzurichten, sodass die wesentliche Verwaltungsarbeit nicht mehr ehrenamtlich erbracht werden muss.

Auch innerhalb des BDÜ kämpfen Verbände ums Überleben

Von dieser Problematik sind auch die kleinen Mitgliedsverbände des BDÜ betroffen. So will sich der Landesverband Thüringen, der eine ähnliche Mitgliederzahl wie die ATICOM hat, mit einem der Nachbarverbände zusammenschließen, um das eigene Weiterbestehen zu sichern. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung in Erfurt soll im Oktober 2023 darüber diskutieren.

Reformstau bis zur Reformunfähigkeit

Überlegungen zu einer grundlegenden Strukturreform flackerten bereits Ende der 1990er Jahre kurz auf, wurden aber vom BDÜ über Jahrzehnte nicht nur nicht weiter verfolgt, sondern rundweg abgelehnt.

Dabei ließe sich durch die Umwandlung in einen Zentralverband nach Vorbild der tekom, also letztlich durch die Abschaffung der Landesverbände, die Zahl der Vorstandsgremien von derzeit dreizehn (Bundesverband plus 12 Mitgliedsverbände) auf einen einzigen verringern.

Da sich der BDÜ dazu aber nicht durchringen kann, gibt es im Verband weiterhin zum Beispiel nicht eine Stelle, die sich um die Organisation von Veranstaltungen kümmert, sondern dreizehn. Nicht einen Referenten für Gerichtsdolmetscher, sondern dreizehn. Nicht einen Schatzmeister, sondern dreizehn usw. usf.

ATICOM aus BDÜ-Landesverband Nordrhein-Westfalen hervorgegangen

Die ATICOM ist aus dem in den 1950er Jahren gegründeten BDÜ-Landesverband Nordrhein-Westfalen hervorgegangen. Dieser war 1996 nach heftigen zweijährigen Querelen im Bundesverband aus dem Dachverband ausgetreten – ebenso wie der Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein, aus dem der ADÜ Nord entstand, sowie der Landesverband Brandenburg, der sich später auflöste und seinen Mitgliedern den Übertritt zum VÜD empfahl, der sich einige Jahre später ebenfalls auflöste.

Hinweis in eigener Sache

UEPO-Herausgeber Richard Schneider war als damaliges studentisches BDÜ-Mitglied aus Rheinland-Pfalz Gründungsmitglied der ATICOM und hat an allen konspirativen Treffen der Vorbereitungsgruppe teilgenommen.

Zur Zeit der BDÜ-Querelen war er Beauftragter des BDÜ-Bundesvorstands für die „BDÜ-Mailbox“, das erste Online-Medium des Verbands. Wegen seiner Sympathien mit den Separatisten und der Weigerung, deren Beiträge aus dem Online-Forum zu löschen, wurde ihm ein Ausschlussverfahren angedroht.

Dieses konnte er in einem persönlichen Gespräch mit dem 1. Vorsitzenden des BDÜ Rheinland-Pfalz, Basil Byrt, abwenden. Wenig später trat er aus eigenem Entschluss aus dem BDÜ aus und gehörte der ATICOM an.

Die Diskussionsforen der BDÜ-Mailbox wurden nach dem Ausstieg des Verbands unter der Bezeichnung U-Forum und U-Jobs fortgeführt und später von einer Mailbox in Mailinglisten umgewandelt.

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Richard Schneider