Gerichtsverfahren per Video: BDÜ mahnt Berücksichtigung der Verdolmetschung an

Justitia Wuppertal
Die Justitia am Eingang des alten Rathauses von Wuppertal-Elberfeld. - Bild: Richard Schneider

Mit dem Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten will das Bundesjustizministerium die diesbezüglichen prozessualen Regelungen flexibler und praxistauglicher gestalten. Zum Referentenentwurf hatte der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) im Januar Stellung genommen und auf die zwingend notwendigen (technischen) Voraussetzungen bei der Beteiligung von Dolmetschern an den Verfahren hingewiesen – zur Gewährleistung der Verfahrenssicherheit, aber auch zum Gesundheitsschutz der Dolmetscher.

Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags

In einer Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags waren am 18. Oktober 2023 neun Sachverständige, v. a. aus Richterschaft und Anwaltschaft, eingeladen, ihre Positionen zum Gesetzentwurf zu erläutern. Die Intention des Gesetzes wurde mehrheitlich begrüßt, wobei allerdings in allen Eingangsstatements Vorbehalte und Kritik im Hinblick auf die technische Ausstattung der Gerichte bzw. deren Fehlen zur Sprache kamen.

Die vom BDÜ geforderte normgerechte, für eine Verdolmetschung von Verfahren unabdingbare spezielle Dolmetschtechnik, die nicht nur einen reibungslosen Ablauf, sondern auch die Hörgesundheit der Dolmetscher und folglich ihre Berufsfähigkeit sicherstellt, wurde dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Einheitliche technische Ausstattung auf neuestem Stand erforderlich

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) verweist in ihrer Stellungnahme auf die geringe Zahl an Gerichten bzw. Verhandlungsräumen, die bereits entsprechend ausgestattet sind: „435 digitalisierte, videokonferenzfähige Gerichtssäle in Deutschland bei 1085 Gerichten (ohne Dienst- und Berufsgerichtsbarkeit) erscheinen hierfür nicht ansatzweise ausreichend.“ Und nicht nur die BRAK-Sachverständige Bettina Fuhrmann sprach sich für eine bundesweit einheitliche Technik aus: Neben weiteren Befürwortern forderte auch die Präsidentin des Deutschen Anwaltsvereins, Edith Kindermann, eine eigene, zentrale und DSGVO-konforme Software mit entsprechendem Support rund um die Uhr.

So ließe sich auch besser gewährleisten, dass die Technik für die Verfahren wirklich geeignet ist. Denn wie Lucia Rosenberger, Referatsleiterin Abteilung Recht und Vielfalt im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), besonders mit Blick auf die Verfahrensparteien und Zeugen klarstellte: „Ein Smartphone ist keine Videokonferenztechnik.“

Sowohl Dr. Bernhard Joachim Scholz, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, als auch Dr. Robert Seegmüller, Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, führten aus, dass eine Verhandlung unter Einsatz von Videokonferenztechnik nur angeordnet werden könne, wenn die geeignete technische Ausstattung dafür vorhanden sei.

Präsenzverhandlung soll die Regel und Online-Verhandlung Ausnahme bleiben

Auch im Hinblick darauf, dass sich nicht jeder Termin für eine Videokonferenz eignet – beispielsweise wenn Kinder beteiligt sind – sprachen sich die meisten Sachverständigen für eine Präsenzverhandlung als Regelfall und eine Online-Verhandlung im Ausnahmefall aus. Für diese Fälle sind Entscheidungskriterien zu definieren. Ein Beispiel für solche Kriterien ist die emotionale Belastung: Es ist davon auszugehen, dass gerichtsunerfahrene Personen – gleich ob Partei oder Zeuge – in solchen Verfahren immer aufgeregt sind und es bei Zivil- und Fachverfahren meistens um ein Thema mit direkten Auswirkungen auf das Leben der Partei(en) wie Kündigung, Sorgerecht, Aufenthalt u. ä. geht.

Technische Voraussetzungen bisher in den wenigsten Fällen erfüllt

Es fehlt also für die Umsetzung der im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit von Verhandlungen per Videokonferenz noch eine ganze Reihe von Voraussetzungen. Diese sind nicht zuletzt mit (erheblichen) Kosten verbunden: Stefanie Otte, Präsidentin des OLG Celle, schätzt diese allein für die Gerichte in Niedersachsen auf 8,5 Mio. Euro, nicht eingerechnet weitere ca. 12 Mio. Euro für die Ertüchtigung der Netzwerke. Kosten einer normgerechten Dolmetschtechnik für Verhandlungen mit mindestens einer fremdsprachigen Person sind dabei noch nicht einkalkuliert.

Videokonferenztechnik auch bei Ämtern und Behörden

Der BDÜ weist daher noch einmal eindringlich auf die Erläuterungen in seiner o. g. Stellungnahme und die Einhaltung der einschlägigen ISO- und DIN-Normen hin. Die in dem Papier genannten, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und den praktischen Erfahrungen der Experten im größten deutschen Berufs- und Fachverband für Dolmetscher und Übersetzer basierenden Forderungen – rund die Hälfte der Verbandsmitglieder ist beeidigt – beziehen sich nicht nur auf Gerichtsverhandlungen: Mit der geplanten Verstetigung der Onlinetermine durch das 5. Verwaltungsverfahrensänderungsgesetz sind diese auch für Ämter und Behörden wie das BAMF oder Sozial- und Jugendämter relevant.

PM BDÜ