Die Tschechische Republik hat beschlossen, ihre Verpflichtungen im Rahmen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (ECRML) in Bezug auf die deutsche Sprache zu erweitern, wie der Europarat in Straßburg mitteilt.
Dies gilt für die früher mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete in den heutigen Bezirken Eger (Cheb) nahe der bayerischen Grenze, Karlsbad (Karlovy Vary), Falkenau an der Eger (Sokolov), Reichenberg (Liberec), Aussig (Ústí nad Labem), Krumau (Český Krumlov), Troppau (Opava) und Zwittau (Svitavy).
Deutsche Sprache im Bildungswesen soll gefördert werden
Die Behörden haben sich verpflichtet,
- einen wesentlichen Teil der Vor-, Grund-, Sekundar- sowie technischen und Berufsschulbildung in diesen Bezirken auf Deutsch anzubieten,
- die Universitäts- und andere Hochschulbildung auf Deutsch zu ermöglichen,
- Maßnahmen vorzusehen, um den Unterricht in der sich auf die deutsche Sprache in Tschechien beziehenden Geschichte und Kultur zu gewährleisten
- und die für den Sprach- und Geschichtsunterricht erforderlichen Lehrkräfte auszubilden.
Deutsch im Gerichtswesen zulässig
Zu den neuen Möglichkeiten des Gebrauchs der deutschen Sprache in den oben genannten Bezirken in der Justiz zählt etwa, dass Angeklagte das Recht haben sollen, diese Sprache in Strafverfahren zu gebrauchen. Anträge und Beweismittel sollen nicht allein deshalb als unzulässig angesehen werden, weil sie in deutscher Sprache abgefasst sind. Und die Prozessparteien in Zivil- und Verwaltungsverfahren sollen die Möglichkeit haben, bei persönlichem Auftreten vor Gericht die deutsche Sprache zu gebrauchen, ohne dass ihnen zusätzliche Kosten entstehen.
Deutsch bei Behörden, in den Medien und der Kultur
Deutschsprecher sollen künftig auch die Möglichkeit haben, Anträge bei nationalen, regionalen und kommunalen Behörden in ihrer Muttersprache einzureichen. Die regelmäßige Ausstrahlung von Fernseh- und Radiosendungen und die Existenz mindestens einer deutschsprachigen Zeitung sollen ebenfalls gefördert werden. Neue Verpflichtungen betreffen zudem kulturelle Aktivitäten, das wirtschaftliche und soziale Leben sowie den grenzüberschreitenden Austausch.
EU begrüßt das Vorgehen
Der Sachverständigenausschuss der ECRML begrüßt die Ausweitung des Schutzes der deutschen Sprache in diesen Bezirken Tschechiens. Er ermutigt die Vertragsstaaten, das Ausmaß ihrer Verpflichtungen im Rahmen der Charta regelmäßig zu überprüfen, um Verbesserungen der Situation ihrer Regional- oder Minderheitensprachen zu berücksichtigen.
Es gibt kaum noch Deutsche in Tschechien
Bis zur Vertreibung der mehr als drei Millionen Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele der jetzt geförderten Regionen mehrheitlich deutschsprachig. Die damals im Landesinneren der Tschechoslowakei verbliebenen Deutschen sind in den folgenden Jahrzehnten als Aussiedler bzw. Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist.
In der Wikipedia heißt es dazu:
Bei der ersten Erhebung nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1950 waren es, aufgrund der oben genannten Gründe, nur noch ca. 160.000 Deutsche auf dem Gebiete Tschechiens. Diese Zahl nahm danach beständig ab. So lag sie 1970 bei etwa 81.000 und bei der letzten Erhebung 2001 bei 39.100.
In absoluten Zahlen lebt heute die größte deutsche Minderheit im Ústecký kraj (insgesamt 9.500 deutsche Einwohner), den höchsten prozentualen Anteil besitzt der Karlovarský kraj mit fast 3 %. Innerhalb des Karlovarský kraj ist der Bezirk Sokolov mit 4,5 % der Bezirk mit der größten deutschen Minderheit in Tschechien. Im Ort Měděnec (im Okres Chomutov) bekannte sich ein Viertel der Einwohner zur deutschen Minderheit. Etwa ein Fünftel bildet die deutsche Minderheit in den Orten Tatrovice (Okres Sokolov), Horská Kvilda (Okres Klatovy) und Kryštofovy Hamry (Okres Chomutov). Alle Orte sind Gemeinden der kleinsten Größenkategorie bis 199 Einwohner.
Maxime staatlichen Handelns: erst vernichten, dann fördern
Angesichts der geringen Zahl der in Tschechien verbliebenen Deutschen stellt sich die Frage, ob die jetzt gemachten Versprechungen überhaupt praxisrelevant sind und in Anspruch genommen werden.
Im Umgang der Tschechoslowakei mit der deutschen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigt sich vielmehr das überall auf der Welt zu beobachtende grundsätzliche Vorgehen des Staates gegenüber verhassten sprachlichen Minderheiten: Erst wird die Sprache verboten und mindestens 20 Jahre lang mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterdrückt, um die Weitergabe an die nächste Generation zu verhindern.
Jahrzehnte später, wenn die missliebige Sprache keine Lebenszeichen mehr von sich gibt und keine Gefahr mehr darstellt, schmückt man sich mit ihr als einem folkloristischen Element der Landesgeschichte. Erst jetzt gewährt man Minderheitenrechte und es fließen Fördergelder für literarische und kulturelle Veranstaltungen, Sonderforschungsbereiche an Universitäten und Ähnliches. So war es im Elsass (ohne Vertreibung) und so war es in der Tschechoslowakei (mit Vertreibung).
Richard Schneider
Quelle: Europarat, Deutschlandfunk