Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) hat sich als Physiker, Mathematiker und Professor für Experimentalphysik auch Gedanken über die Sprache gemacht, wie hier über das Thema Nomenklatur und die Benennung und Umbenennung von Begriffen:
Umbenennungen: Nur glaube ich, daß man sich zu viel davon verspricht
[K 18]
Man schreibt sehr viel jetzt über Nomenklatur und richtige Benennungen, es ist auch ganz recht, es muß alles bearbeitet und auf das Beste gebracht werden. Nur glaube ich, daß man sich zu viel davon verspricht, und zu ängstlich ist den Dingen Namen zu geben die ihre Beschaffenheit ausdrücken.
Der unermeßliche Vorteil den die Sprache dem Denken bringt besteht dünkt mich mehr darin, daß sie überhaupt Zeichen für die Sache, als daß sie Definitionen sind. Ja ich glaube daß grade dadurch der Nutzen den die Sprachen haben wieder zum Teil aufgehoben wird.
Das Wort soll keine Definition sein, sondern ein bloßes Zeichen für die Definition
Was die Dinge sind, dieses auszumachen ist das Werk der Philosophie. Das Wort soll keine Definition sein, sondern ein bloßes Zeichen für die Definition, die immer das veränderliche Resultat des gesamten Fleißes der Forscher ist, und es in so unzählichen Gegenständen unsres Denkens ewig bleiben wird, daß der Denker daher gewöhnt wird sich um das Zeichen, als Definition gar nicht mehr zu bekümmern, und diese Unbedeutlichkeit auch endlich unvermerkt auf solche Zeichen überträgt die richtige Definitionen sind.
Und das ist auch dünkt mich sehr recht. Denn da einmal nun die Zeichen der Begriffe keine Definitionen sein können, so ist fast besser gar keines derselben eine Definition sein zu lassen, als auf das Ansehen einiger Zeichen hin, die richtige Definitionen sind, so vielen andern die es nicht sind einen falschen Kredit zu verschaffen.
Das würde eine Herrschaft der Sprache über die Meinungen bewirken die alle den Vorteil wieder raubte den uns die Zeichen verstatten. Es ist aber nicht zu befürchten, die sich selbst überlassene Vernunft wird immer die Worte für das nehmen was sie sind. – Es ist unglaublich wenig was ein solches definierendes Wort leistet. Das Wort kann doch nicht alles enthalten und also muß ich doch die Sache noch besonders kennen lernen.
Das beste Wort ist das, das jedermann gleich versteht
Das beste Wort ist das das jedermann gleich versteht. Also sei man ja behutsam mit der Wegwerfung allgemein verstandener Wörter, und man werfe sie nicht deswegen weg weil sie einen falschen Begriff von der Sache gäben! Denn einmal ist es nicht wahr, daß es mir einen falschen Begriff gibt, weil ich ja weiß und voraussetze, daß das Wort diene die Sache zu unterscheiden, und für das andere, so will ich aus dem Wort das Wesen der Sache nicht kennen lernen.
Wer hat beim Metall-Kalch je an Kalch gedacht? Was kann es schaden die Kometen Kometen das ist Haar-Sterne zu nennen, und was würde es nutzen sie Brand- oder Dampf-Sterne zu nennen? (Sternschnuppe.) Es läßt sich selten viel in die Namen eintragen, so daß man doch erst die Sache kennen muß.
Parabel, Hyperbel, Ellipse sind Namen dergleichen sich die Chymie weniger rühmen kann, denn [sie] drücken Eigenschaften dieser Linien aus, aus denen sich alle die übrigen herleiten lassen, welches freilich mehr reiner Natur der Wissenschaft wohin diese Betrachtungen gehören als einem besonderen Witz der Erfinder dieser Namen zuzuschreiben ist.
Man hofft zu viel von guten und fürchtet zuviel von schlechten Wörtern
Aber was hilft eben diese Weisheit, man braucht sie wie den Namen Zirkel und Kreis oder Muschel-Linie, die keine Definition sind. Der Dispüt hat würklich etwas Ähnliches mit den puristischen Bemühungen der Sprachmelioristen, und Orthographen. Man hofft zu viel von guten und fürchtet zuviel von schlechten Wörtern.
Die Richtigkeit des Ausdrucks ist es nicht allein sondern die Bekanntheit und der Wert eines Worts steht also gewissermaßen in der zusammengesetzten Verhältnis aus der jedesmalen Richtigkeit und der Bekanntheit.
Freilich Regeln für die Wörterfertigung festzusetzen ist immer sehr gut, denn es kann ein Fall kommen, wo man sie gebraucht. Es ist würklich gut den Dingen griechische zu geben. Hätte man für die ganze Chemie hebräische Namen oder arabische wie Alkali pp, so würde man am besten dabei fahren je weniger man von dem Namen versteht.
[K 19]
Nomenklatur. Auch hier ist die eingeschränkte Monarchie der Aristokratie vorzuziehen. Wenn man bloß vernünftig gewählte Ausdrücke gelten machen will, so gibts eine Aristokratie, und dann welche sind dann die vernünftigsten und wer soll darüber entscheiden? Es können ja viele gleich gut und gleich vernünftig gewählt sein.
Am Umschaffen eingeführter Namen hat immer mehr Eitelkeit als Nützlichkeit Anteil
Ich halte auch hier einen geschnitzten Monarchen für den besten; geschnitzte Heiligen richten mehr aus als die beseelten. Am Umschaffen eingeführter Namen hat immer mehr Eitelkeit als Nützlichkeit Anteil, denn gewöhnlich werden sie alsdann erst nützlich wenn man sie so nimmt wie die alten, nämlich nicht mehr denkt was die Dinge ihrem Wesen nach sind, die sie bezeichnen, sondern bloß an die Dinge. Hypothesen sind Gutachten, Nomenklaturen sind Mandate.
Ich glaube immer es ist am besten gar nicht zu reformieren
[K 20]
Nomenklatur. Ich glaube immer es ist am besten gar nicht zu reformieren. Es erweckt Erbitterung und Neid und Verachtung, auch wird zuviel über Namen geschrieben, das doch eigentlich nichts ist. Das Unsinnige verliert sich von selbst, und das was gleichsam die Natur abstößt, wächst nicht wieder.
Die Zitate stammen aus Lichtenbergs posthum veröffentlichten Sudelbüchern, hier dem Buch „K“. In diesen Notizheften sammelte er über Jahrzehnte Gedankensplitter, Beobachtungen und Aphorismen. Zur besseren Online-Lesbarkeit haben wir oben zusätzliche Absatzeinteilungen vorgenommen und Zwischenüberschriften eingefügt.
Weitere Lichtenberg-Aphorismen zur Sprache:
Diejenigen verba, welche die Leute täglich im Munde führen, sind in allen Sprachen die irregulärsten. Sum, Sono, εἶμι, ich bin, Je suis, Jag är, I am. [A 69]
Es gibt eine wahre und eine förmliche Orthographie. [I 327,1]
Um eine fremde Sprache recht gut sprechen zu lernen, und wirklich in Gesellschaft zu sprechen mit dem eigentlichen Akzent des Volks, muss man nicht allein Gedächtnis und Ohr haben, sondern auch in gewissem Grad ein kleiner Geck sein. [E 174]
Es ist sehr reizend, ein ausländisches Frauenzimmer unsere Sprache sprechen und mit schönen Lippen Fehler machen zu hören. Bei Männern ist es nicht so. [H 127]
Seit mehr als 200 Jahren sind Lichtenbergs Sudelbücher eine amüsante und geistreiche Lektüre. Der Meister der kurzen Texte gilt als Begründer des deutschsprachigen Aphorismus und wäre heute auf Twitter sicherlich eine ganz große Nummer.
Richard Schneider