„Der Markt allein trägt diese Arbeit kaum“ – Übersetzerfonds kritisiert Kürzungspläne der Bundesregierung

Olga Radetzkaja
Olga Radetzkaja (Mitte) bei einer Podiumsdiskussion auf der Frankfurter Buchmesse 2023. - Bild: Richard Schneider

Die Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen sieht in ihrem Haushaltsentwurf für das Jahr 2025 drastische Kürzungen bei den sechs Bundeskulturfonds vor. Davon ist auch der Deutsche Übersetzerfonds (DÜF) betroffen. Dieser vergibt zurzeit pro Jahr annähernd 900.000 Euro an Fördergeldern für Literaturübersetzer.

In einer schriftlichen Stellungnahme hat sich der DÜF unter dem Vorsitz der Literaturübersetzerin Olga Radetzkaja jetzt selbst zu Wort gemeldet:

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Weltliteratur in schwerer See – Kultur braucht verlässliche Förderung

Erklärung des Deutschen Übersetzerfonds zu den Kürzungsplänen der Bundesregierung

Das Übersetzen – jene globale Kunst, die uns das Wissen, Denken und Fühlen anderer Kulturen erschließt – gehört bekanntlich zu den ältesten Beschäftigungen der Menschheit. Als Kunst im eigentlichen Sinn ist sie jedoch noch nicht lange wirklich anerkannt. Der dem literarischen Übersetzen gewidmete Deutsche Übersetzerfonds wurde erst 1997 gegründet und hat in den 27 Jahren seines Bestehens Erstaunliches erreicht.

Wir leben heute in einer Blütezeit des literarischen Übersetzens: Es wird konstant viel übersetzt (rund 14 Prozent der jährlichen Neuerscheinungen sind Übersetzungen, in der Belletristik ein gutes Viertel, bei den Comics über 80 Prozent), und das Wissen der Übersetzer·innen ist so groß wie nie.

Die vielfältigen Aktivitäten des DÜF haben zu dieser Blüte entscheidend beigetragen. Mit unseren Stipendien einerseits, den Fortbildungsprogrammen, dem internationalen Toledo-Programm, der Wissensplattform Babelwerk und dem Projektfonds andererseits verschaffen wir denen, die dieser komplexen Arbeit nachgehen, praktischen und intellektuellen Spielraum, Gelegenheiten zum Austausch, zur Reflektion und öffentlichen Vermittlung ihres Tuns.

All dies ist ein Grund zum Stolz – auch für die Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), die den DÜF seit 1999 maßgeblich finanzieren.

Die drohende Kürzung in der Förderung des Deutschen Übersetzerfonds (von 2,45 Mio. Euro – im Haushaltsansatz 2024, bewilligt wurden letztendlich 2,15 Mio. – auf 1,5 Mio. im Haushaltsentwurf 2025) bedeutet einen Bruch in dieser Geschichte – bei gleichzeitig steigendem BKM-Etat.

Zu den Verlierern gehören alle sechs Bundeskulturfonds, deren – von einer breiten politischen Mehrheit gewollte – Stärkung im Jahr davor noch als „eines der wichtigsten Vorhaben des Koalitionsvertrages“ galt. Die Kürzungen treffen die freie Kulturszene, die vielen Kreativen in den darstellenden Künsten, der Soziokultur, in Musik, bildender Kunst – und in besonderem Maße die Kreativen der Literatur.

Der zu erwartende Schaden im Bereich der Übersetzungskunst ist eklatant. Gerade die neueren Teile unseres Programms, die sich dem internationalen Austausch der Literaturen und ihrer Übersetzung widmen, stünden damit auf der Kippe. Falls diese Kürzungen Realität würden, müssten wir ferner die durch die Erhöhung 2024 ermöglichte Ausweitung des Stipendienetats – ein zentrales Desiderat der Szene – rückgängig machen und die Projektförderungen stark einschränken.

Hinzu kommt der Wegfall privater Förderer wie der Robert-Bosch-Stiftung. Zugleich ist die Buchbranche insgesamt derzeit so fragil wie nie – und das gilt nicht nur für die kleineren, unabhängigen Verlage.

Literatur ist ein unentbehrlicher Teil des öffentlichen Gesprächs, sie ist Teil der Selbstverständigung einer offenen Gesellschaft, in der die verschiedenen Perspektiven ihrer Mitglieder zu Wort kommen. Wir brauchen die Literatur, und wir brauchen heute mehr denn je gerade die übersetzte Literatur, die uns neben der eigenen Sicht auf uns und die Welt auch teilhaben lässt an den Sprach- und Weltsichten der anderen, die unser Leben teilen – sei es als Nachbarinnen in Deutschland oder als Weltmitbürger im globalen Kontext.

Literatur wird nicht von Institutionen gemacht, auch nicht von Unternehmen, sondern von den Autorinnen, die sie schreiben, und den Übersetzern, die sie in einer anderen Sprache neu schreiben. Wer Literatur schafft, braucht Freiheit – und öffentliche Förderung, denn der Markt allein trägt diese Arbeit kaum; im Bereich der Literaturübersetzung sind die durchschnittlichen Honorare in den letzten Jahren inflationsbereinigt sogar gesunken.

Der DÜF schafft als bis heute einzige relevante, bundesweit tätige Fördereinrichtung auf diesem Gebiet materielle wie geistige Voraussetzungen dafür, dass hochqualifizierte Übersetzer·innen unter zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen bei ihrem Beruf bleiben können, und dass talentierter Nachwuchs sich nicht aus Furcht vor dem Hungertuch davon abwendet.

Der Literatur wie der Übersetzerfonds stärken unmittelbar die Einzelnen, ohne die es das große Ganze der Literatur nicht gäbe. Wir finden: Eine Kulturpolitik, die ihren Namen verdient, sollte strategisch denken. Sie darf die Förderung der einzelnen Künstler·innen nicht weniger ernst nehmen als etwa die Absicherung von Stellen in großen Institutionen. Auch sie brauchen Kontinuität und Verlässlichkeit.

Die bisherige Förderung des DÜF durch die BKM hat gezeigt, wie viel eine kluge Kulturpolitik bewirken kann. Es wäre fatal, die Früchte dieser Politik jetzt vertrocknen zu lassen.

Berlin, den 16. August 2024

Deutscher Übersetzerfonds
Am Sandwerder 5
14109 Berlin
mail@uebersetzerfonds.de
www.uebersetzerfonds.de

Vorstand: Olga Radetzkaja (Vorsitzende), Timea Tankó (stellvertretende Vorsitzende), Ulrich Blumenbach, Thomas Brovot, Marie Luise Knott.
Geschäftsführer: Jürgen Jakob Becker.

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red