
Der diesjährige Kakehashi-Literaturpreis geht an den österreichischen Schriftsteller Robert Menasse und die japanische Übersetzerin Dr. Tomoko Fukuma für den Roman Die Hauptstadt. Darüber hinaus vergibt die vom Goethe-Institut Tokio zusammengestellte Jury erstmals einen Förderpreis an einen Nachwuchsübersetzer.
Die mit insgesamt 20.000 Euro dotierte Auszeichnung wird im Oktober 2024 im Rahmen des „Europäischen Literaturfestivals“ in Tokio verliehen.
Menasse wirkte zeitweise als Übersetzer aus dem Portugiesischen
Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren und ist auch dort aufgewachsen. Er studierte Germanistik, Philosophie sowie Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte im Jahr 1980 mit einer Arbeit über den „Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb“.
Menasse lehrte anschließend sechs Jahre – zunächst als Lektor für österreichische Literatur, dann als Gastdozent am Institut für Literaturtheorie – an der Universität São Paulo. Dort hielt er vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab, u. a. über: Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno.
Seit seiner Rückkehr aus Brasilien 1988 lebt Robert Menasse als Literat und kulturkritischer Essayist hauptsächlich in Wien und wirkte zeitweise auch als Übersetzer aus dem Portugiesischen.
Erster Roman über die Europäische Union
2017 veröffentlichte Menasse die Satire Die Hauptstadt. Das Werk gilt als erster Roman über die Europäische Union und erhielt den Deutschen Buchpreis. „Die Geschichte stellt Beamte der Kulturabteilung der EU-Kommission in den Mittelpunkt, die das Image der Kommission zu deren Geburtstag aufpolieren sollen“, fasst die Wikipedia den Inhalt kurz zusammen.
Nach Die Hauptstadt erschienen zuletzt 2022 der Roman Die Erweiterung und 2024 Die Welt von morgen – Ein souveränes demokratisches Europa und seine Feinde. Menasse hat für sein Werk viele Preise gewonnen, darunter den Marburger Literaturpreis, den Lion-Feuchtwanger-Preis, den Österreichischen Kunstpreis für Literatur, den Deutschen Buchpreis und im Jahr 2023 den Preis des Europäischen Buches.
Übersetzerin Fukuma lehrt als Germanistik-Professorin in Tokio
Dr. Tomoko Fukuma ist Übersetzerin, studierte Germanistik an der Universität Tokio und promovierte 2004 mit einer Studie über Paul Celans Poetik. Sie arbeitete seit 2004 als Assistentin an der Universität Tokio, dann als festangestellte Dozentin an der Musashi Universität, Tokio, und seit 2010 als Universitätsprofessorin an der Germanistik-Abteilung an der Meiji Universität, Tokio.
2019-2020 hielt sie sich als Gastforscherin an der Universität Wien auf. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der jüdisch-österreichischen Gegenwartsliteratur, insbesondere von den Autoren der „zweiten Generation“ der Shoah-Literatur.
Übersetzerin zeigt „umfassendes und differenziertes Textverständnis“
Zur Begründung der Preisvergabe schreibt die Jury:
Mit dem Roman Die Hauptstadt gelingt dem österreichischen Autor Robert Menasse, die vielfältigen Themen des heutigen Europa in mehreren parallel verlaufenden Handlungssträngen erzählerisch zu veranschaulichen.
Darin werden die Begebenheiten auf unterschiedlichen Ebenen – etwa das Scheitern des Plans, das fünfzigjährige Jubiläum der EU-Gründung auf der Gedenkstätte des KZ Auschwitz zu begehen, oder der Enthusiasmus eines emeritierten Professors für eine postnationale Europäische Republik, bis hin zur täglichen Angst eines alten jüdischen Auschwitz-Überlebenden – so ironisch wie einfühlsam skizzierend zu einem sich mosaikartig zusammenfügenden Gesamtbild komponiert.
Diesem einmaligen Europaroman, der Widersprüche und Möglichkeiten des unvollendeten Projekts „Europa“ mit räumlicher Weite und zeitlicher Tiefe erfahrbar macht, zollte die Jury die höchste Anerkennung.
Die Übersetzerin Tomoko Fukuma hat bereits durch ihre zahlreichen Studien über die jüdischen Autoren des Holocaust ihr umfassendes und differenziertes Textverständnis belegt und stellt damit eine ideale Vermittlerin dieses Romans dar. Die Jury kam folglich zu dem Schluss, dem Schriftsteller Robert Menasse und der Übersetzerin Tomoko Fukuma den Kakehashi-Literaturpreis 2024 zu verleihen.
Erstmals Förderpreis verliehen
Um die Bedeutung des Kakehashi-Literaturpreises gerade auch für junge Übersetzer zu unterstreichen, vergibt die Jury erstmals einen Förderpreis an den Nachwuchsübersetzer Shuntaro Nakamura für seine Übersetzung des Romans Rombo von Esther Kinsky.
Die Jury begründet ihre Wahl so:

Die Übersetzung durch Shuntaro Nakamura gibt den tief reflektierten Erzählstil des Originaltexts erfolgreich wieder, mit dem an ein Erdbeben in Norditalien erinnert wird, und der den japanischen Leser miterleben lässt, wie das gelebte Gedächtnis in die Spuren der zerstörten Landschaft eingeschrieben wird. In Anerkennung der hohen Qualität dieser sich dem Originaltext kongenial anschmiegenden Übersetzung wurde einstimmig beschlossen, dem Übersetzer Shuntaro Nakamura einen Förderpreis zu verleihen.
Shuntaro Nakamura, geboren 1997 in Nagano, Japan, studierte Germanistik an der Universität Kyoto und ist derzeit Doktorand. Seine Masterarbeit (2023) trägt den Titel „Die Umweltkrise und der Körper in Christa Wolffs ‚Sommerstück'“. Er veröffentlichte eine Teilübersetzung von Esther Kinskis Rombo in der Übersetzungsanthologie Kaigai Bungaku Kiko V (Kotoba no Tabi sha, 2023). Außerdem übersetzt er ausländische Artikel unter anderem für die Zeitschrift Sekai oder das Webmagazin Fune to Kaze.
Kakehashi-Literaturpreis wird alle zwei Jahre verliehen
Der Preis wird seit 2013 alle zwei Jahre ausgelobt. Die Übersetzer schlagen dabei deutschsprachige Autoren zur japanischen Übersetzung vor, deren literarische Werke sich mit Themen der Gegenwart auseinandersetzen.
Der mit insgesamt 20.000 Euro dotierte Kakehashi-Literaturpreis dient der Auszeichnung herausragender Autoren, deren literarische Arbeit für eine japanische Leserschaft entdeckt werden soll. Darüber hinaus ehrt er aber auch Übersetzer und Verleger für ihre besondere Rolle im kulturellen Austausch.
Geldgeber des Preises ist der Pharmakonzern Merck, die Organisation obliegt dem Goethe-Institut in Tokio.
Die nächste Ausschreibung des Kakehashi-Literaturpreises soll im Herbst 2025 erfolgen.
PM GI Tokio