In rund 1.700 Sprachen hat ein Forscherteam aus Saarbrücken und Leipzig nach Strukturen gesucht, die darauf hindeuten, dass sie in allen Sprachen auftreten. Von 191 grammatikalischen Mustern, den so genannten Sprachuniversalien, fand sich ein Drittel in den untersuchten Sprachen wieder.
Das Team unter Leitung von Annemarie Verkerk von der Universität des Saarlandes und Russell Gray vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat die Studie jetzt in der Fachzeitschrift Nature Human Behaviour veröffentlicht.
Erneut „Grambank“ Grundlage der statistischen Auswertungen
Alle natürlichen Sprachen weltweit folgen bestimmten Mustern. Um diese besser analysieren und vergleichen zu können, hat das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig vor zwei Jahren die bisher größte Datenbank für grammatikalische Merkmale öffentlich zugänglich gemacht.
An dieser „Grambank“ genannten Plattform hat ein Team von über hundert Sprachwissenschaftlern aus der ganzen Welt mitgewirkt. Sie ist die Grundlage für die aktuelle Studie zu den gemeinsamen Eigenschaften von Sprachen.
„Wir haben mehrere sehr komplexe statistische Verfahren auf diese Datenbank angewendet, um herauszufinden, wo die vorher als Hypothese definierten, exakt 191 Sprachuniversalien als Muster zu erkennen sind“, sagt Annemarie Verkerk, Juniorprofessorin für Language Science an der Universität des Saarlandes. Durch unterschiedliche Methoden konnte das Forscherteam im Vergleich zu früheren Studien ein hohes Maß an statistischer Genauigkeit erreichen.
„Bisher haben Linguisten häufig Sprachen untersucht, die geografisch weit voneinander entfernt sind. Damit wollten sie zu große Ähnlichkeiten in der gleichen Sprachfamilie umgehen und zum Beispiel nicht nur Italienisch und Rumänisch mit den slawischen Sprachen vergleichen“, erklärt die Linguistin. Diese Beschränkung auf einzelne Stichproben verringerte aber die statistische Aussagekraft, zudem berücksichtigten frühere Studien nur wenig die Sprachgeschichte.
„Wir konnten hingegen mit unseren Methoden nachverfolgen, wie sich eine Sprache historisch entwickelt hat und in welchem geographischen Zusammenhang sie mit anderen Sprachen steht. Dafür haben wir quasi einen Stammbaum für die einzelnen Sprachen gebraucht und konnten nutzen, wie diese miteinander verwandt sind, um abzuschätzen, wie Sprachuniversalien zustande kommen“, erläutert Annemarie Verkerk.

Ein Drittel von 191 Universalien in allen Sprachen als Muster erkennbar
Die verschiedenen Analysen bestätigten aus unterschiedlichen Blickwinkeln übereinstimmend das Ergebnis, dass etwa ein Drittel der 191 vorher definierten Universalien in allen Sprachen als wiederkehrende Muster zu finden ist. „Dies macht deutlich, dass die Evolution von Sprachen nicht zufällig verläuft. Wir sollten daher den Sprachwandel noch weiter analysieren, um besser zu verstehen, warum viele Sprachen auf einer ähnlichen Grammatik beruhen. Vermutlich gibt es fest verankerte Strukturen, nach denen Menschen ihre Kommunikation organisieren“, sagt die Saarbrücker Forscherin.
Beispiel: Wortreihenfolge im Satz
Als Beispiel für die Universalien führt Annemarie Verkerk die Wortreihenfolge im Satz an, also etwa die Frage, ob Verben vor oder nach Objekten stehen und wie diese Wortreihenfolge sich mit anderen verhält. Im Deutschen stehen sie meist vor dem Verb, im Japanischen ist es umgekehrt.
Eine Wortstellung, die damit korreliert, ist die Reihenfolge von Adposition und Nomen: Wo es im Deutschen Präpositionen gibt, folgt im Japanischen diese Wortart dem Nomen. Die Korrelation zwischen Objekt-Verb-Reihenfolge und Postpositionen wie im Japanischen ist eine der am stärksten unterstützten Sprachuniversalien in der Studie.
„Bei diesen Sprachuniversalien konnten wir mithilfe der Bayes’sche Statistik herausfinden, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie als grammatikalische Muster in den verschiedenen Sprachen zu erkennen sind“, erklärt die Linguistin.
Ähnliche kognitive und kommunikative Bedingungen führen zu ähnlichen Lösungen
„Wir haben überlegt, ob wir die Ergebnisse der Studie als ‚halb leeres Glas‘ oder ‚halb volles Glas‘ formulieren sollten. Sollten wir den Fokus darauflegen, wie viele vorgeschlagene Universalien nicht statistisch belegbar sind, oder darauf, dass es solide statistische Belege für etwa ein Drittel von ihnen gibt“, sagt der leitende Autor Russell Gray vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
„Letztendlich haben wir uns dafür entschieden, die sich wiederholt entwickelnden Muster herauszustellen und zu zeigen, dass Sprachen aufgrund gemeinsamer kognitiver und kommunikativer Bedingungen zu einer begrenzten Anzahl bevorzugter grammatikalischer Lösungen tendieren.“
Weitere Forschungen mit großen sprachübergreifenden Datensätzen sinnvoll
Für künftige Studien empfiehlt Annemarie Verkerk, weniger mit Stichproben aus einzelnen Sprachen zu arbeiten, sondern große sprachübergreifende Datensätze zu verwenden. Dabei sollten nicht nur die Abhängigkeiten zwischen einzelnen Merkmalen, die in mehreren Sprachsystemen auftauchen, analysiert werden.
„Wir sollten auch berücksichtigen, wie sich die Sprachen im Laufe der Evolution verändert haben und welche sozialen, ökologischen und demografischen Ereignisse und Situationen sich auf die Sprachentwicklung auswirkten“, nennt Annemarie Verkerk als weiteres Forschungsziel.
Weiterführender Link
- Originalpublikation: Annemarie Verkerk, Olena Shcherbakova, Hannah J. Haynie, Hedvig Skirgård, Christoph Rzymski, Quentin D. Atkinson, Simon J. Greenhill, Russell D. Gray: “Enduring constraints on grammar revealed by Bayesian spatiophylogenetic analyses”, erschienen in Nature Human Behaviour (https://doi.org/10.1038/s41562-025-02325-z)
- 2024-05-13: Nicht alle Sprachen haben Hand und Fuß: Wortschatz-Vergleich für Körperteile
- 2023-08-21: Warum entwickeln manche Sprachen – wie das Deutsche – komplexe Grammatiken, andere nicht?
- 2023-04-19: Grambank: Neue Auswertung zur grammatikalischen Ähnlichkeit von 2.400 Sprachen
Friederike Meyer zu Tittingdorf / UdS
