Rosemarie Tietze erhält Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern 2024 für literarische Übersetzer

Rosemarie Tietze
Rosemarie Tietze - Bild: Lennart Laberenz

„Das mit 7.000 Euro dotierte Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern geht in diesem Jahr an die Übersetzerin Rosemarie Tietze für ihre Erstübertragung des russischsprachigen Romans ‚Getäuscht‘ von Juri Felsen.“ Das hat der bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume, in München mitgeteilt. Blume weiter:

Rosemarie Tietze ist die Grande Dame der deutschsprachigen Übersetzung. Mit großer Versiertheit, sprachlicher Eleganz und einem reichen Erfahrungsschatz verwandelt sie fremde Sprachlandschaften in vertraute Worte. Ihr ganz eigener Ton nimmt die Leserinnen und Leser sofort gefangen. Die hohe Kunst der Übersetzung eröffnet uns ständig neue Sichtweisen auf die Welt. Selten war dies so wichtig wie in der heutigen Zeit.

Die offizielle Übergabe des auch als Auszeichnung zu verstehenden Stipendiums erfolgt am 10. Juli 2024 im Rahmen einer Feierstunde im Literaturhaus München.

Die noch in Arbeit befindliche Übersetzung erscheint am 16. Januar 2025 im Verlag Kiepenheuer & Witsch.

Juri Felsen: Getäuscht
Juri Felsen gilt als russischer Proust. Sein Roman „Getäuscht“ wird durch Rosemarie Tietze erstmals ins Deutsche übersetzt. – Bild: K&W

Virtuoser Umgang mit reichem Instrumentarium der deutschen Sprache

Die Jury würdigte Rosemarie Tietzes großes übersetzerisches Können:

Mit ‚Getäuscht‘ von Juri Felsen hat Rosemarie Tietze wieder einmal einen Schatz für die deutschsprachige Literaturwelt gehoben. Nach Gaito Gasdanow, der im selben Pariser Exilverlag veröffentlicht wurde, besticht Felsen als Zeitgenosse von Proust mit einer psychologisch ungemein feinnervigen Charakterisierung seiner Figuren, die von der Übersetzerin auf sensible und kreative Weise ins Deutsche gebracht wurde, genau wie die fließenden, sprudelnden, überbordenden Satzkaskaden.

Rosemarie Tietze stellt erneut ihren virtuosen Umgang mit dem reichen Instrumentarium der deutschen Sprache unter Beweis. Ihre übersetzerische Souveränität zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie die Besonderheiten des russischen Originals erfasst, ohne ihnen im Deutschen auf den Leim zu gehen und dass sie dadurch einen eigenständigen deutschen Text erschafft.

Dostojewski, Nabokov, Pasternak, Puschkin, Tolstoi – Tietze hat alle übersetzt

Rosemarie Tietze wurde 1944 in Oberkirch/Schwarzwald geboren und lebt heute in München und Oberkirch. Sie studierte Theaterwissenschaft, Slawistik und Germanistik in Köln, Wien und München. Zu Forschungszwecken hielt sie sich ein Jahr in Moskau auf.

Seit 1972 ist sie freiberuflich tätig, zunächst in Wirtschaft und Wissenschaft, seit Ende der siebziger Jahre vor allem als Literaturübersetzerin. Mehr als zwanzig Jahre lehrte sie zudem am Münchner Sprachen- und Dolmetscherinstitut (SDI München). Tietze war Initiatorin und von 1997 bis 2009 Vorsitzende des Deutschen Übersetzerfonds.

Ihr übersetzerisches Werk reicht von Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Vladimir Nabokov, Boris Pasternak, Alexander Puschkin und Lew Tolstoi zu Boris Schitkow und Andrej Bitow, dem zentralen Autor ihrer Werkbiografie.

Für ihre Übersetzungen wurde Tietze bereits vielfach ausgezeichnet, u. a. 2010 mit dem Paul-Celan-Preis für die Neuübersetzung von Leo Tolstois „Anna Karenina“, 2017 mit dem Deutschen Sprachpreis oder 2018 mit dem Stahl-Literaturpreis. 2013 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet, 2021 erhielt sie die Auszeichnung „Pro Meritis Scientie et litterarum“ des Freistaats Bayern.

Markus Blume
Markus Blume, Staatsminister für Wissenschaft und Kunst des Freistaats Bayern. – Bild: Steffen Böttcher

Arbeitsstipendium prämiert keine Leistung, sondern ermöglicht Übersetzung

Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst vergibt seit 2009 jährlich ein Arbeitsstipendium für ein Übersetzungsvorhaben. Die Dotierung von 7.000 Euro soll es dem Übersetzer ermöglichen, sich ohne wirtschaftlich-materiellen Zwang einem Übersetzungsvorhaben widmen zu können.

Neben der Förderung eines konkreten Übersetzungsprojekts wird gleichzeitig die bedeutende kulturelle Leistung des jeweiligen Literaturübersetzers gewürdigt. Erst durch die Übersetzung wird die Literatur anderer Sprachen für den größten, nicht polyglotten Teil der Leserschaft zugänglich.

Über die Vergabe des Stipendiums entscheidet der Bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst auf Vorschlag einer Jury, die die eingereichten Eigenbewerbungen prüft.

Der Jury gehörten 2024 die Literaturübersetzer Patricia Klobusiczky, Andrea O’Brien und Thomas Weiler an.

Mehr zum Thema

red