Justizdolmetschen: Auch im Ruhrgebiet wird betrogen und abgezockt – Ehemalige Mitarbeiterin packt aus

Der Prozess um die Berliner Dolmetscheraffäre wirft zurzeit ein Schlaglicht auf die Missstände beim Gerichts- und Polizeidolmetschen.

Unseriöses und unverantwortliches Übersetzen und Dolmetschen, Fälle von Abrechnungsbetrug und Bestechung sowie Auftragsmonopole gibt es aber nicht nur in der verfilzten deutschen Hauptstadt. Aus einer Ruhrgebietsmetropole erreichte uns der folgende Bericht einer Kollegin:

Ich habe vor einigen Jahren sieben Monate als Festangestellte in einem Übersetzungsbüro gearbeitet. Dieses stand in heftigster Konkurrenz zu einem benachbarten Büro – wobei beide sich gegenseitig in puncto Unseriosität den Kunden gegenüber sowie hinsichtlich der Ausbeutung der Mitarbeiter in nichts nachstanden.

Das Büro hat fast ausschließlich für die Justiz gearbeitet und die Region in diesem Bereich komplett abgedeckt.

Bei Dolmetschaufträgen hatten wir die strikte Anweisung, jeden Auftrag anzunehmen, selbst wenn wir dafür niemanden in unserer Kartei hatten und nicht einmal wussten, in welchem Land die angefragte Sprache gesprochen wird. Der Chef würde schon jemanden finden.

Ich kann mich daran erinnern, dass er mehrmals in einem Sprachenatlas nachgeschaut hat, um welche Sprache es überhaupt geht. „Afrika? Aha! Der Mann muss also schwarz sein!“ Daraufhin ist er in der Fußgängerzone herumgerannt und hat wahllos jeden Schwarzen angequatscht, ob der nicht am Mittwoch um 9 Uhr Zeit hat. Da sind Leute im Jogginganzug zum Landgericht gefahren, die kaum auf Deutsch „Guten Tag!“ sagen konnten.

Ein noch traurigeres Kapitel sind die Termine bei Untersuchungshäftlingen. Die persönlichen Gespräche von Häftlingen mit ihren Angehörigen usw. müssen nicht gedolmetscht werden. Der Dolmetscher soll nur zuhören, um zu gewährleisten, dass die Betreffenden sich nicht über die Straftat unterhalten und keine Absprachen bezüglich ihrer Zeugenaussagen treffen. Der Dolmetscher muss also nur intervenieren, wenn über die Straftat gesprochen wird. Dann wird das Gespräch bzw. der Besuch sofort abgebrochen.

Nach solchen Terminen kamen die „Dolmetscher“ häufig lachend ins Büro, um zu kassieren, und erzählten, sie hätten von dem komischen Dialekt oder auch von der Sprache (die sie gar nicht beherrschten, da nicht großartig recherchiert wurde, um was es genau geht) kein einziges Wort verstanden und wären fast eingepennt. Aber zum Glück müsse man bei diesen Terminen ja nicht dolmetschen und es würde sowieso kein Mensch merken.

Die festangestellten Mitarbeiter wurden regelmäßig genötigt, in den Gerichten herumzulaufen und wahllos Werbegeschenke an Hinz und Kunz zu verteilen. Damals waren es zwar noch recht billige Sachen wie Kugelschreiber, Kalender und Aschenbecher mit Firmenaufdruck, aber der Inhaber hatte lustigerweise nebenbei auch ein Reisebüro …

Bei der Erstellung der Abrechnungen wurden wir immer wieder angewiesen, die Zahl der Zeilen nach oben abzurunden.

Zu beglaubigende Übersetzungen wurden von nicht ermächtigten Übersetzern ausgeführt, manchmal auch handschriftlich. Wir Festangestellte durften sie dann abtippen, ohne dass anschließend noch einmal Korrektur gelesen wurde. Das galt auch für Sprachen wie Rumänisch, die niemand von uns beherrschte. Alle diese Übersetzungen mussten wir abstempeln.

Unterschrieben hat das in meiner Anfangszeit alles der Chef, obwohl er nur seine Muttersprache und relativ schlecht Deutsch sprach. Als ich dann schließlich meine Ermächtigung für zwei europäische Sprachen erhielt, wollte er mich zwingen, in seiner Abwesenheit alles zu unterschreiben. Also auch Übersetzungen in Sprachen, von denen ich kein Wort verstehe („Aber Sie sind doch jetzt ermächtigt!“).

Als ich mich standhaft weigerte, wurde mir wenig später gekündigt. Dem Arbeitsamt war der Laden auch nicht unbekannt. Aber: „Da können wir nichts machen. Der hat alle Richter hinter sich.“
Eine Kollegin, die sich zu der Zeit in derselben Stadt selbstständig machen wollte, sagte mir, sie müsse sich wohl auf Industrie und Technik konzentrieren, denn „bei den Gerichten kriegst du hier wegen Firma X kein Bein mehr an die Erde“.

Der Name des Büros und der ehemaligen Mitarbeiterin sind UEPO.de bekannt. Die ursprünglich noch sehr viel konkreteren Angaben haben wir anonymisiert, um keine Rückschlüsse auf die Betroffenen zu ermöglichen. Uns geht es hier um das Problem an sich und nicht um die Machenschaften eines bestimmten Büros.

[Text: Richard Schneider.]