„Es ist das erste Mal seit Kriegsende, dass ich über diese Dinge spreche. Ich habe Angst. Der Irak war und ist eine Terrorrepublik. Ich befinde mich in einer schwierigen Lage, denn ich war eine Person des öffentlichen Lebens. Jeder hat mich im Februar im Fernsehen gesehen, als ich das Interview von Dan Rather mit Saddam gedolmetscht habe. Für viele Iraker gehöre ich zu den ehemals Privilegierten der Diktatur, ein Mensch, der vor Gericht gehört. Sie wissen nicht, dass ich bei den Sicherheitsdiensten unbeliebt war. Es besteht die Gefahr, dass man mich aus Rache ermordet. Und für die Amerikaner bleibe ich ein potenzieller Feind, obwohl sie gelegentlich meine Dienste in Anspruch nehmen.“
Dies sagt der langjährige Dolmetscher von Saddam Hussein, Sadun Al-Zubaydi (55), in einem längeren Interview mit dem Irak-Korrespondenten der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera, das in zwei Teilen am 28.08. und 06.09.2003 veröffentlicht wurde.
Al-Zubaydi hat in Oxford studiert. Er ist Dozent für englische Literatur an der Universität Bagdad, als ihn Tarek Aziz 1984 ins Außenministerium holt. Der Außenminister und einzige Christ im irakischen Kabinett ist fortan sein Mentor und Förderer. Ab 1987 ist Al-Zubaydi acht Jahre lang persönlicher Dolmetscher Saddam Husseins.
Für seine gute Arbeit wird er 1995 mit dem Posten des Botschafters in Indonesien belohnt. Als er es wagt, den Betonköpfen in der irakischen Regierung von Jakarta aus politische Ratschläge für den Umgang mit dem Westen zu erteilen, wird ihm dies als Einmischung in Angelegenheiten ausgelegt, die ihn nichts angehen. 2001 wird er abberufen.
In Bagdad ist er wieder Saddams Dolmetscher, schreibt und korrigiert dessen Reden.
In den letzten Jahren zog sich der irakische Präsident immer mehr aus dem Tagesgeschäft zurück und verstand sich eher als Schriftsteller. Das Lektorat der von Saddam verfassten Romane wird Al-Zubaydi übertragen.
Da die handschriftlichen Manuskripte oft unleserlich und von mangelhafter Qualität sind, artet die Tätigkeit in eine Vollzeitbeschäftigung aus. Saddam pflegt einen einfachen Schreibstil, der mit Ausdrücken aus dem bäuerlichen Dialekt und den für Autodidakten typischen Grammatikfehlern gespickt ist. Und er schreibt viel. Innerhalb von drei Jahren erscheinen fünf Romane (der erste trägt den Titel Zibiba und der König), die jeweils mehrere hundert Seiten dick sind.
„Es stimmt aber nicht, dass die Romane von seinem Privatsekretär geschrieben wurden, wie jemand behauptet hat“, sagt Al-Zubaydi. „Ich habe alle Originalmanuskripte in der Hand gehabt. Sie sind in der für Saddam typischen gleichförmigen und regelmäßigen Handschrift verfasst. Sie enthalten wenige Änderungen, aber viele Wiederholungen. Wenn ihm eine gelungene Formulierung einfiel, war er davon fasziniert und verwendete sie immer wieder, auch wenn sie nicht in den Zusammenhang passte.“
Heute sitzt der ehemals vielbeschäftigte Chefdolmetscher arbeits- und mittellos in Bagdad. „Seit Februar bekomme ich kein Gehalt mehr.“ Ein irakischer Übersetzerkollege hat ihn bei den Amerikanern angeschwärzt. Aber Al-Zubaydi will bleiben und einen Neuanfang wagen. Er hofft, bei der UNO oder anderen internationalen Organisationen Arbeit zu finden.
Dass sich dieser wichtige Zeitzeuge entschlossen hat auszupacken, könnte für viele noch manch peinliche Überraschung bereithalten – nicht nur für die früheren Machthaber im Irak.
Einen Vorgeschmack darauf vermittelt das Interview mit dem Corriere della Sera, in dem Al-Zubaydi erklärt, die USA hätten von dem geplanten Überfall auf Kuwait wissen können. Hussein habe 1990 acht Tage vor der Invasion in einem Gespräch mit der amerikanischen Botschafterin April Glaspie entsprechende Andeutungen gemacht und die Reaktion der Botschafterin als Zustimmung der USA gewertet. (In einer von Glaspie an Hussein übergebenen Botschaft von George Bush senior heißt es: „It’s not USA policy to interfere into inter-Arab affairs.“)
Hussein berief sich später mehrfach darauf, die Amerikaner hätten dadurch signalisiert, den Irak in Kuwait gewähren zu lassen. Das Transkript der Unterredung mit Glaspie stützt diese Ansicht.
Al-Zubaydi erklärt weiter, der Irak habe enorme Summen im österreichischen Bundesland Kärnten gebunkert – für den Fall der Flucht hochrangiger Vertreter des irakischen Regimes ins Ausland. Landeshauptmann Jörg Haider hatte den irakischen Präsidenten stets wie einen Staatsmann behandelt, auch nachdem der Westen für das ehemalige Hätschelkind Saddam Hussein keine Verwendung mehr hatte und begann, es zu verteufeln.
Richard Schneider