„Sie ist einfach schwach geworden.“ – Wollte Übersetzerin Michaela T. geheimes U-Boot-Handbuch an China verkaufen?

Ein von Italien unter dem Namen "Salvatore Todaro" in Dienst gestelltes U-Boot der bei HDW in Kiel aufgelegten Baureihe 212 A (Foto aus dem Jahr 2008). - Bild: gemeinfrei
Kay Nehm
Kay Nehm – Bild: BGH

Generalbundesanwalt Kay Nehm (63) hat am 13.09.2004 die deutsche und amerikanische Staatsangehörige Michaela T. (43) in Rheinland-Pfalz durch Beamte des Bundeskriminalamts verhaften lassen. Es besteht der Verdacht auf versuchten Landesverrat.

Die Beschuldigte soll im Oktober 2003 an ihrem kanadischen Wohnort versucht haben, geheime militärische Unterlagen an China zu verkaufen. Dabei handelt es sich um das technische Handbuch der neuen U-Boot-Klasse 212 A. Michaela T. war von einem Übersetzungsbüro beauftragt worden, das Handbuch ins Englische zu übersetzen.

Das von der Kieler HDW-Werft gemeinsam mit den Emdener Thyssen-Nordseewerken (TNSW) entwickelte Boot befindet sich derzeit in der Erprobungsphase und soll unter anderem an Italien geliefert werden. Es besitzt ein außenluftunabhängiges Antriebssystem auf der Basis von Brennstoffzellen, das wochenlange Tauchfahrten ermöglicht. Normale Diesel-elektrische Boote müssen nach drei Tagen schon wieder an die Wasseroberfläche. Außerdem entwickelt der Antrieb keine Wärme und ist extrem leise. Schon dadurch ist das Boot kaum zu orten, es besitzt aber noch zusätzlich eine geheime Tarnkappentechnik.

Der deutschen Marinetechnik ist damit bei nichtatomaren U-Booten wieder einmal der Sprung an die Weltspitze gelungen. Kein Wunder, dass sich viele Länder für die Innovationen interessieren – vor allem Nicht-NATO-Staaten, die gewiss nie ein solches Tauchboot erhalten werden, dessen Herstellungskosten sich auf 500 Millionen Euro pro Stück belaufen. Der Spiegel schreibt dazu:

Das Spionagegut war T. praktisch frei Haus geliefert worden. Die Deutsche aus der Nähe von Mannheim genießt einen exzellenten Ruf als Übersetzerin. Sie gilt als nahezu zweisprachig, seit sie als junge Frau einen amerikanischen Air-Force-Angestellten heiratete und in die USA auswanderte; inzwischen besitzt sie auch einen amerikanischen Pass. Seit bald 20 Jahren überträgt Michaela T. vom Deutschen ins Englische, zu ihren Kunden gehören der Pharmariese Roche oder die Software-Schmiede SAP. Auch sensible Aufträge wie Handbücher der Flugzeughersteller Learjet und Cessna hat sie bearbeitet.

Die Übergabe der Unterlagen konnte verhindert werden, weil der kanadische Geheimdienst ein Telefonat mithörte, das Michaela T. mit der chinesischen Botschaft führte. Die Kanadier schickten ihr einen verdeckten Ermittler ins Haus, der vorgab, von der chinesischen Botschaft zu sein. Dieser handelte einen Kaufpreis von 100.000 Dollar für das Handbuch aus. Damit war die Übersetzerin in die Falle gegangen. Für eine Anklage reichte dies nach kanadischem Recht nicht aus – nach deutschem Recht aber schon.

Als Michaela T. jetzt – genau ein Jahr nach dem Vorfall – ihren in Rheinland-Pfalz lebenden schwer erkrankten Vater besuchte, griffen die geduldigen Staatsschützer zu. Ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ordnete nach der Vorführung der Festgenommenen Untersuchungshaft an, seitdem sitzt Michaela T. in einem Koblenzer Gefängnis.

Der mögliche Strafrahmen bewegt sich zwischen einem Jahr und lebenslänglich. Da es sich hier aber offensichtlich nicht um die Tat einer eiskalten Berufsspionin, sondern eher um eine aus Dummheit begangene Kurzschluss- und Verzweiflungstat handelt, ist folgendes Szenario denkbar: Sechs Monate Untersuchungshaft, Verurteilung zu einem Jahr, Anrechnung der U-Haft und Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung. Der Spiegel mutmaßt:

Möglicherweise hat die Übersetzerin, die in zweiter Ehe mit einem Niederländer verheiratet und Mutter zweier Kinder ist, aus einem Affekt heraus gehandelt, aus Rache über eine als unfair empfundene Behandlung.

Denn um den lukrativen Auftrag termingerecht bewältigen zu können, hatte T. mehrere Übersetzer als Subunternehmer beauftragt. Doch dann, so erzählen es Beteiligte, habe die Agentur ein zusätzliches Glossar vorgelegt und sich über die Qualität der Arbeit beschwert.

Erst ging es um Wörter, später um Geld. Die Agentur wollte nicht zahlen, die Übersetzerin unbedingt ihr Geld – von wem auch immer. „Sie ist einfach schwach geworden“, sagen Vertraute.

Erstaunlich und ungewöhnlich ist, wie viele Einzelheiten der Spiegel zur Person der Beschuldigten verrät. Damit ist es kein Problem, über eine simple Suche im Internet das Profil unserer Kollegin in diversen Übersetzerforen ausfindig zu machen – samt Foto und allen persönlichen Daten. Der Generalbundesanwalt war in seiner Pressemitteilung sehr viel verschwiegener.

Richard Schneider