Professor Waibels Wundermaschine: interACT soll simultan dolmetschen können

Eine auf den ersten Blick sensationelle Pressemitteilung aus dem Bereich der maschinellen Übersetzung (MÜ) wurde dieser Tage von der Universität Karlsruhe herausgegeben und von praktisch allen Nachrichtenagenturen und den meisten größeren Zeitungen in zahlreichen Varianten verbreitet:

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Konferenzen in den USA, Dienstreisen nach China, Verhandlungen mit Japan – für viele Menschen gehören solche Situationen heute zum Alltag. Je mehr die Welt zusammenwächst, um so mehr erfordert sie eine Kommunikation über verschiedene Sprachen hinweg. Beispielsweise möchten Zuhörer fremdsprachige Vorträge oder Gespräche verstehen, ohne die Sprache selber zu beherrschen. Dies wird in absehbarer Zeit möglich sein.

Wissenschaftler des „international center for Advanced Communication Technologies“ (interACT), einem gemeinsamen Forschungszentrum der Universität Karlsruhe und der Carnegie Mellon University, Pittsburgh (Pennsylvania, USA) haben am 27.10.2005 in einer Pressekonferenz ein System vorgestellt, das in beliebigen Gesprächssituationen gesprochene Sprache simultan übersetzt. Professor Alex Waibel, der eine Professur an beiden Universitäten innehat, ist Direktor von interACT und leitet das Projekt.

„Vor dem jetzigen System haben wir Taschenübersetzer entwickelt, etwa für eine Hotelreservierung, Reiseplanung oder medizinische Versorgung“, erklärt Waibel. „Unsere Neuentwicklung kann nun unbeschränkt Themen und Gesprächssituationen wie Vorträge oder Ansprachen simultan übersetzen – eine absolute Neuheit.“ So zeigte interACT heute erstmalig die simultane Übersetzung eines freien Vortrags. Begonnen hat Waibels Team mit der Übersetzung vom Englischen ins Spanische, zurzeit arbeiten die Wissenschaftler auch an deutscher Sprachübersetzung. Prinzipiell seien laut Waibel aber alle Sprachen der Welt denkbar.

Die simultane Sprachübersetzung wird mit neuartigen Technologien ausgegeben: Ein mit Ultraschall arbeitendes Lautsprechersystem richtet einen akustischen Strahl auf einen bestimmten Zuhörer, dieser hört die Übersetzung, sein Nachbar jedoch bleibt davon ungestört. Wie ein Scheinwerfer, der sein Licht nur auf eine Person richtet, erreichen die Töne des „Sprachstrahls“ nur eine Person.

Die schriftliche Form der Sprachübersetzung präsentierte interACT in so genannten „Sprachbrillen“. Diese Technologie projiziert die Simultanübersetzung in die Brille, der Brillenträger kann den Text dort mitlesen. Waibel: „Wir wollen dem Benutzer in jeder Situation eine angepasste Sprachausgabe anbieten, so dass Kommunikation in jeder Lebenslage über Sprachgrenzen hinweg möglich ist.“

Für die Zukunft entwickelt das Team auch Techniken, mit denen die Nutzer direkt eine fremde Sprache sprechen können, ohne diese zu beherrschen. Dafür greifen die Wissenschaftler elektrische Signale an Mund und Hals ab, die durch die Bewegung der für die Artikulation benötigten Muskeln entstehen. Das System erkennt diese Signale als Sprache, übersetzt sie und gibt sie in einer anderen Sprache hörbar aus. Der Sprecher formt also mit dem Mund lautlos die Worte, die dann in der Fremdsprache ertönen.

Die Vorteile dieser Technologie erklärt Dr. Tanja Schultz, Professorin an der Carnegie Mellon University und interACT-Wissenschaftlerin: „Damit kann unhörbare in hörbare Sprache umgewandelt werden. Es ist also möglich, zu sprechen, ohne andere Personen in der Nähe zu stören, oder etwas zu sagen, was nicht für fremde Ohren bestimmt ist.“

Waibel und sein Team haben sich die Verständigung der Menschen und das Verständnis untereinander zur Aufgabe gemacht: „Ziel unserer Arbeit ist es, trotz sprachlicher und kultureller Unterschiede, die wir ja schätzen, die Sprachbarrieren als Trennung zwischen den Menschen zu entfernen“, sagt Waibel über die Mission von interACT.

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Viel heiße Luft von forschen Forschern

Bei dieser Meldung dürfte es so manchem Konferenzdolmetscher vor Schreck die Sprache verschlagen haben. Handelt es sich hier wirklich um eine wissenschaftliche Sensation? Wird es in absehbarer Zeit ein maschinelles System geben, das zwischen beliebigen Sprachen zu beliebigen Themen simultan dolmetschen kann? Natürlich nicht.

Aber Waibel und Schulz ist es gelungen, mit ihren Zukunftsvisionen (und James-Bond-Gimmicks wie „Sprachstrahlen“ und „Sprachbrillen“) Dutzende von Journalisten zu blenden und für ihre Zwecke einzuspannen. Journalisten, die vom maschinellen Übersetzen genauso wenig Ahnung haben wie von den meisten anderen Themen, zu denen sie tagaus, tagein etwas in ihren Laptop hacken.

Was bleibt, wenn man die heiße Luft aus dieser Pressemitteilung entweichen lässt? Nicht viel. Waibel verfolgt – wie einige andere Forscher auch – einen relativ neuen (aber inzwischen auch schon zehn Jahre alten) statistischen Ansatz, der erstaunlich schnell zu Ergebnissen führt. Diese Ergebnisse unterscheiden sich aber nicht von den sattsam bekannten und für Berufsübersetzer und -dolmetscher unbrauchbaren Resultaten der traditionellen MÜ-Forschung.

Es ist schön, dass es Dozenten wie Waibel gibt, die zu begeistern verstehen. Und es ist legitim, als Professor für eigene Projekte die Werbetrommel zu rühren, wenn man auf die Bewilligung von Förder- und Forschungsgeldern angewiesen ist.

Andererseits dürfte es gerade unter uns Berufssprachlern – von denen viele im Rahmen ihres Studiums ein wenig in die MÜ-Materie hineingeschnuppert haben – viele geben, die derart forschen Forschern grundsätzlich gar nichts mehr glauben. Zu oft haben sich in den nunmehr vier Jahrzehnten der MÜ-Forschung vermeintliche Sensationsmeldungen als bloße Zukunftsvisionen entpuppt.

In der ahnungslosen Öffentlichkeit verfestigt sich durch derartige – von der Presse unkritisch übernommene – PR-Texte derweil der Eindruck, dass das Übersetzen und Dolmetschen eine Tätigkeit niederer Ordnung ist, die von Maschinen viel besser und billiger bewältigt werden kann.

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