Friss oder stirb? Gerlinde Schermer-Rauwolf zur Debatte um angemessene Honorare für Literaturübersetzer

Seit Wochen beklagen sich deutsche Verleger lautstark über die nach dem neuen Urheberrecht zu zahlenden „angemessenen“ Honorare für Literaturübersetzer (siehe Link weiter unten). Gerlinde Schermer-Rauwolf, Vorsitzende des Verbandes deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ) in der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, geht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die Vorwürfe der Verlage ein:

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Sollen Übersetzer und Autoren gleichberechtigt sein? Für die Übersetzer und Übersetzerinnen stellt sich die Frage so gar nicht. Ihre Übersetzungen sind eigenständige Werke, an denen sie, ebenso wie ein Autor, das Urheberrecht besitzen – das an der deutschen Fassung. In mancher Hinsicht ist die Arbeit des Übersetzers jener des Schriftstellers ähnlich, in anderer Beziehung unterscheidet sie sich erheblich davon.

Immer aber gilt: Übersetzer arbeiten im Auftrag eines Verlags, der das fremdsprachige Buch erworben hat, der sich etwas davon verspricht und über seine Vermarktung entscheidet. Deshalb müssen Übersetzer anders vergütet werden als Autoren. Gleichwohl muss auch ihre Honorierung angemessen sein. Damit stellt sich die eigentliche Gleichberechtigungsfrage in der Vergütungsdebatte: Können Übersetzer mit ihrem Verlag auf Augenhöhe über ein angemessenes Honorar verhandeln?

Jahrzehntelang mussten Übersetzer (und andere Urheber) Verträge unterschreiben, auf deren Bedingungen sie praktisch keinen Einfluss hatten. Eine strukturelle „Vogel friss oder stirb Situation” ließ keinerlei Verhandlungsspielraum. Das führte dazu, dass sich das Einkommen auch vielbeschäftigter Übersetzer im Schnitt auf dem Niveau von tausend Euro Monatseinkommen bewegt. Belegt wird das durch den „Bericht der Bundesregierung über die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler in Deutschland” vom Juni 2000, aber auch durch die Erhebungen der Künstlersozialkasse.

Auf diese unhaltbare Situation reagierte der Gesetzgeber im 2002 verabschiedeten Urhebervertragsrecht mit einem sehr klaren Konzept: Verwerter (Verlage beziehungsweise der Börsenverein) und Urheber (wie der Literaturübersetzerverband VdÜ) einigen sich als beste Kenner der Materie auf gemeinsame Vergütungsregeln. Die Verlage haben während des Gesetzgebungsverfahrens ihre Änderungswünsche mit dem Versprechen durchgesetzt, sich ohne jeden Druck mit den Übersetzern am Verhandlungstisch zu einigen. Doch seit das Gesetz in Kraft ist, versuchen Verleger und Börsenverein, sich solchen Verhandlungen zu entziehen.

Solange es keine gemeinsamen Vergütungsregeln gibt, können Übersetzer innerhalb einer Verjährungsfrist von drei Jahren die Angemessenheit ihrer Honorierung vor Gericht prüfen lassen. Von diesem Recht hat bislang etwa ein Dutzend Übersetzer Gebrauch gemacht. Allen betroffenen Verlagen war zuvor angeboten worden, auf die so genannte „Einrede der Verjährung” zu verzichten und so die Klagen zu vermeiden. Dann hätte man die Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln abwarten und die strittigen Verträge in diesem Rahmen neu regeln können. Doch 2005 war, auch auf Anraten des Börsenvereins, mit einer Ausnahme kein Verlag dazu bereit.

Bei etwa der Hälfte dieser Vertragsanpassungsklagen ist es zu erstinstanzlichen Urteilen gekommen. Sie entsprechen keineswegs den Übersetzerwünschen, deren Vergütungsvorstellungen eine deutliche Erhöhung des Seitenpreises beinhalten – gestaffelt in Honorarzonen, je nach Anspruch und Schwierigkeit des übersetzten Werks. Allerdings bestätigen sie in der Tendenz unmissverständlich, dass den Übersetzern eine Beteiligung zusteht, die sich proportional am Verkaufserfolg des Buchs und der Verwertung der Rechte bemisst.

In den meisten Übersetzungsverträgen ist bislang keine solche Beteiligung vorgesehen. Wenn doch, dann setzt sie fast immer erst bei Auflagenzahlen ein, die für die entsprechenden Bücher nicht realistisch sind (häufig ab dem 30.001. Exemplar); Beteiligungen an Nebenrechten – wie Taschenbuch- oder Hörbuchlizenzen – machen meist nur winzige Bruchteile des Verlagserlöses aus.
Leider nennt der Hanser Verlag nun nicht „seine” Zahlen, sondern die Umsätze zweier Übersetzerinnen – die natürlich nicht ihr Einkommen sind. Nach Abzug von Büro- und Betriebskosten, Sozialabgaben, Urlaubszeiten, Rücklagen für Krankheit und Alter ist der freiberuflich arbeitende Übersetzer von dem unterstellten „Studienratsgehalt” weit entfernt.

Wie Michael Krüger zu der Behauptung kommt, die Übersetzerin des „Goldenen Pelikans” von Stefan Chwin würde unter Zugrundelegung der Übersetzerforderung bei gleichem Grundhonorar ein Plus von 18.850 Euro einstreichen, ist einfach schleierhaft. Selbst wenn das Landgericht München I bei der Auflagenbeteiligung den Übersetzern die geforderten drei Prozent zugesprochen hätte, wären es in diesem Fall bloß 5.270 Euro.

Tatsächlich aber würde durch ein solches Urteil (im Hardcover ein Prozent Beteiligung bis 20.000 Exemplare, darüber zwei) nicht einmal ein Zehntel der von Michael Krüger genannten Summe gewährt – unter Zugrundelegung der genannten Verkaufszahl ergeben sich 1.756,60 Euro.

Wie viel der Hanser Verlag mit den genannten Büchern erwirtschaftet hat, teilt er leider nicht mit. So lässt sich auf Grundlage der genannten Verkaufszahlen nur schätzen, dass der Umsatz für Anna Gavaldas Roman „Zusammen ist man weniger allein” schon ohne Einbeziehung der Nebenrechtserlöse (Taschenbuch und Hörbuch) zwischen einer und eineinhalb Millionen Euro liegt.
Hätte Michael Krüger wirklich die Zahlen des Verlags auf den Tisch gelegt, wäre zu sehen: Auch wenn sich die Tendenz der jetzigen Rechtsprechung als Regel durchsetzt, werden Übersetzer nur dann gut verdienen, wenn der Verlag bereits sehr gut verdient hat.

Die Bäume werden für die Übersetzer nicht in den Himmel wachsen und den Verlagen gewiss nicht das Wasser abgraben. Warum bloß beschwören Verlage immer nur dann den Untergang der Buchkultur, wenn die Übersetzer ihren angemessenen Anteil verlangen? Als die ausländischen Autoren mit Hilfe von Agenten ihre Vorschüsse in schwindelerregende Höhen trieben, sprach kein Verlag davon, weniger Übersetzungen produzieren zu wollen.

Und wenn ein Buchhandelsriese wie Thalia von den Verlagen Sonderrabatte verlangt, wird ebenfalls nicht das Ende der Büchervielfalt in Deutschland beschworen. Es trägt irrationale Züge, dass dies stets nur bei den berechtigten Forderungen der Übersetzer nach angemessener Honorierung geschieht.

Das Niveau der Übersetzungskultur in Deutschland ist herausragend. Das hat viel damit zu tun, dass sich die Übersetzerinnen und Übersetzer selbst Strukturen des Austauschs, der Aus- und Weiterbildung geschaffen haben. Daran hat der VdÜ als Verband ebenso Anteil wie eine Vielzahl engagierter Übersetzer, die oft in engem Austausch mit ihren Autoren stehen. Das gilt heute noch mehr als früher, denn die Arbeitsbelastung in den Verlagen zwingt die Lektoren, die Partner der Übersetzer im Verlag, inzwischen oft in die Rolle des „product manager”.

Ohne Übersetzer gibt es keine Weltliteratur. Doch ob Kinderbücher oder Krimis, große Literatur oder Bestseller fremdsprachiger Autoren – diese Einblicke in fremde Welten können Übersetzer und Verlage den deutschen Lesern nur gemeinsam ermöglichen. Dass jetzt die Gerichte entscheiden, was eine angemessene Vergütung für Übersetzer ist, ist weder im Sinne des Gesetzes noch im Sinne der Übersetzer. Wir ziehen Verhandlungen vor, wie unsere unermüdlichen Gesprächs- und Verhandlungsangebote seit über drei Jahren beweisen.

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[Text: Gerlinde Schermer-Rauwolf. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Erstveröffentlchung in der FAZ vom 17.01.2006, Seite 35. Bild: VdÜ.]