„Die Übersetzung war im 19. Jahrhundert ein entscheidender Auslöser der modernen arabischen Renaissance (Nahda)“, schreibt Khalid Al-Maaly in der Neuen Zürcher Zeitung. Heute hingegen sinke die Zahl und Qualität der Übersetzungen.
Al-Maaly berichtet über den internationalen Kongress „Die Übersetzung und die Wissensgesellschaft“, organisiert vom arabischen Supreme Council for Culture, der unter der Schirmherrschaft von Susan Mubarak steht. Zahlreiche Arabisch-Übersetzer waren geladen, um das tausendste Buch zu feiern, dessen Übersetzung vom Rat gefördert wurde. Unter den Gästen befand sich auch der Deutsche Hartmut Fähndrich.
Der Autor skizziert das Übersetzungsgeschehen in den arabischen Ländern wie folgt:
Mit dieser internationalen Veranstaltung feierte der Supreme Council for Culture das tausendste übersetzte Buch, das er im Rahmen des «Nationalen Übersetzungsprogramms» herausgegeben hatte. Ägypten war das erste arabische Land, das sich um die systematische Pflege der Übersetzungskultur bemühte: 1836 wurde das Sprach- und Übersetzerinstitut Dar al-Alsun in Kairo gegründet.
Danach gab es im arabischen Raum immer wieder Initiativen für ähnliche Institutionen; es handelte sich jedoch um staatliche oder staatlich geförderte Stellen mit entsprechend begrenzter Freiheit, wie beispielsweise die Kulturministerien in Syrien, Kuwait, dem Irak oder Ägypten.
Die Angst vor der Verletzung politischer oder religiöser Tabus führte Übersetzer und Zensoren dazu, die Übersetzungen zu «stutzen» oder sich von den publizierten Inhalten zu distanzieren. So liest man in allen Übersetzungen des Supreme Council: «Die Ideen, die in diesem Buch dargelegt werden, sind die Interpretationen der Autoren und spiegeln nicht die Meinung des Supreme Council for Culture wider.» Ein kluger Schachzug, um die Zensur zu umgehen. Aber in einigen arabischen Ländern wie Syrien, Kuwait oder den Vereinigten Arabischen Emiraten ist sogar das nicht möglich.
Eine Koordination zwischen den arabischen staatlichen Institutionen, die Übersetzungen herausgeben, gibt es nicht, ebenso wenig existiert ein Konzept: Welche Bücher übersetzt werden, hängt vom Zufall ab. Übersetzer reichen Vorschläge ein, oder die Titel werden von den staatlichen Stellen in Auftrag gegeben. Die in der arabischen Welt seltenen privaten Kulturinstitutionen […] schaffen da kein Gegengewicht: Mit Ausnahme der erstgenannten Institution funktionieren auch sie praktisch ohne jede Systematik.
Dementsprechend existiert beispielsweise kein Projekt zur Edition der Gesamtwerke wichtiger Denker und Autoren auf Arabisch: Die gesammelten Werke von Shakespeare und Molière auf Arabisch sind ein Ergebnis vereinzelter Initiativen der Arabischen Liga aus den sechziger Jahren, García Lorca folgte vor einigen Jahren. Aber leider mag man diese Übersetzungen wegen ihrer mangelhaften Qualität oft kaum in seiner Bibliothek aufbewahren.
Die meisten Übersetzungen ins Arabische basieren auf englischen und französischen Texten, weitere wichtige Sprachen sind Spanisch und zur Zeit der Sowjetunion Russisch. Selten sind Übertragungen aus anderen europäischen Sprachen sowie aus dem Japanischen, Chinesischen, Farsi, Türkisch und Hebräisch. So liegen Werke von Jürgen Habermas lediglich in einer schlechten Übertragung aus dem Französischen vor, erschienen in Syrien. Einige Werke von Nietzsche, ebenfalls aus dem Französischen, wurden in Marokko verlegt. In Syrien erschien «Der Antichrist» von Nietzsche in einer Übersetzung aus dem Italienischen.
Für seriöse Verlage wiederum stelle der lasche Umgang mit dem Urheberrecht eine Schwierigkeit dar, so Al-Maaly. Weder die staatlichen Institutionen noch die privaten Verlage kümmerten sich um den Kauf der Rechte. Deshalb existieren bei bekannteren Autoren wie Kundera und Süskind mehrere Übersetzungen eines Buches.
[Text: Richard Schneider. Quelle: NZZ, 2006-03-10.]