Über die Bemühungen, Dolmetschdienste in Krankenhäusern einzurichten, hat das Übersetzerportal schon häufiger berichtet. Und auch darüber, dass es an einigen Kliniken spezielle Stationen für ausländische Patienten gibt. Diese sind jedoch für Ölscheichs und andere zahlungskräftige Medizintouristen gedacht. Für die Millionen in Deutschland lebenden Türken standen unseres Wissens bislang keine voll auf Muslime zugeschnittene Stationen zur Verfügung.
Seit Januar ist das anders. Nach zweijähriger Vorbereitungszeit hat die Asklepios Weserbergland-Klinik in Höxter in Zusammenarbeit mit den Initiatoren Prof. Dr. Mustafa Yücel und Dr. Seyda Yücel eine spezielle Station für türkische Patienten eingerichtet.
Zu den Beweggründen heißt es: „Viele der in Deutschland lebenden Türken – vor allem der ersten Einwanderergeneration – besitzen nur unzureichende deutsche Sprachkenntnisse. Deshalb werden diagnostische Ergebnisse und medizinisch-therapeutische Behandlungen oft nicht verstanden, wodurch der mögliche Behandlungserfolg be- oder gar verhindert wird. Auch aus religiösen und sozio-kulturellen Gründen verzichten vor allem Frauen auf die Möglichkeit einer Anschlussheilbehandlung oder Rehabilitation.“
Hinter dem Konzept steckt aber nicht nur Menschenfreundlichkeit, sondern auch geschäftliches Kalkül: Die Weserbergland-Klinik ist ein reines Reha-Krankenhaus, das sich mit der Neuerung auch neue Kundenkreise erschließen will. Die Eckpfeiler des Konzepts:
- Durch eine Trennung von Männern und Frauen auf zwei unterschiedlichen Ebenen in der Klinik wird auf die sozio-kulturellen Bedürfnisse der Patientinnen eingegangen.
- Einzelgymnastik, Massagen oder Bäder-Anwendungen sind ebenfalls geschlechtlich getrennt. Somit können die Patientinnen die Therapien ohne Einschränkung wahrnehmen.
- Die besonderen Wünsche der türkischen Patienten nach ihrer gewohnten Kost werden durch eine türkische Diät-Assistentin erfüllt.
- Auf der ethno-medizinischen Station können die Patienten die wichtigsten türkischen Fernsehsender empfangen.
- Auf beiden Ebenen der Station wurde jeweils ein Gebetsraum eingerichtet, damit die Patientinnen und Patienten ihrer Religiosität nachgehen können.
- Ein türkischstämmiger Sozialarbeiter der Arbeiterwohlfahrt besucht einmal in der Woche die Weserbergland-Klinik und leistet Hilfe bei Rentenfragen oder gibt Ratschläge bei Arbeitsplatzproblemen.
Das medizinische Team besteht aus Prof. Dr. Univ. Ist. Dr. med. habil. Mustafa Yücel und Frau Dr. Univ. Ist. Seyda Yücel, welche die Patienten in türkischer Sprache betreuen. Das erleichtert die Behandlungen des Klinikteams unter Leitung des Chefarztes der Orthopädie Dr. Hartmut Heinze.
In der Physiotherapie wird die Behandlung durch Hakan Deniz begleitet. Hatice Akdemir ist in der Pflege für die türkischen Patienten verantwortlich, und als Diätassistentin steht Filiz Akgül zur Verfügung. Die drei fungieren bei Bedarf auch als Dolmetscher für deutsche Ärzte der Klinik. Bei psychosomatischen Erkrankungen werden beratend tätige türkische Mediziner herangezogen.
Unterläuft das Konzept einer „Türkenstation“ nicht sämtliche Integrationsbemühungen? Nein, sagt Prof. Yücel, denn man nehme sich nur derer an, für die es vor Jahrzehnten noch keine Integrationsmaßnahmen gegeben habe.
Seit Januar wurde die neue Station bereits von 28 Patienten in Anspruch genommen, unter denen die Zufriedenheit offenbar sehr hoch ist.
[Text: Richard Schneider. Quelle: Weserbergland-Klinik; Täglicher Anzeiger, 2006-03-20.]