In Istanbul ist gegen die Übersetzer Lütfi Taylan Tosun und Aysel Yıldırım Anklage erhoben worden. Ihnen wird „Beleidigung des Türkentums“ vorgeworfen, weil sie ein Buch des amerikanischen Autors John Tirman ins Türkische übertrugen. Der türkische Verleger des Buchs, Fatih Taş, steht bereits seit mehreren Monaten vor Gericht, nun wurde entschieden, die Übersetzer in das Verfahren einzubeziehen.
Tirman beschreibt in seinem Buch The Spoils of War – The Human Cost of American Arms Trade neben den Strategien des amerikanischen Waffenhandels auch das Vorgehen der türkischen Armee in den Kurdengebieten. Außerdem enthält das Buch eine Landkarte, in der Teile der Türkei als Kurdengebiete gekennzeichnet sind.
Die Menschenrechtsorganisation IHD erklärte, damit werde erstmals Übersetzern eines Buches vorgeworfen, durch ihre Arbeit eine Straftat begangen zu haben.
Dieser Eindruck der Menschenrechtsorganisation ist global betrachtet allerdings falsch. Denn wer sich als Übersetzer an Texten verbotener Autoren oder verbotener Themen zu schaffen macht, hatte schon immer mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen. In der Türkei betrifft es zum Beispiel Kurdistan und den Völkermord an den Armeniern.
Sprachmittler, die bei internationalen Geschäftsbesprechungen für Verbrecher dolmetschen, werden regelmäßig wegen Beihilfe verurteilt, obwohl sie nichts anderes getan haben als zu dolmetschen. Und wer, weil er den offiziellen Übersetzungen misstraut, Al-Kaida-Pressemitteilungen auf eigene Faust übersetzt und veröffentlicht, kann froh sein, wenn er nur im Knast und nicht in Guantánamo landet. Das Übersetzerportal hat in den vergangenen Jahren mehrere Beispiele dafür zusammengetragen.
Durch das Übersetzen an sich kann man sich also durchaus strafbar machen, je nachdem, was man übersetzt und für wen man tätig wird.
[Text: Richard Schneider. Quelle: Spiegel, 2006-09-20.]