„Wahrscheinlich das beste Rechtswörterbuch, das wir haben“ – Margaret Marks rezensiert Dietl/Lorenz

Dietl/Lorenz„Der Dietl“ (Clara Dietl ist 1996 verstorben, aber Egon Lorenz führt das Werk weiter) gilt als Standard-Rechtswörterbuch Deutsch  > Englisch < Deutsch. Ein Wirtschaftswörterbuch ist es eigentlich nicht, aber als Rechtswörterbuch hat es kaum Konkurrenz. Der Romain ist eine gute Ergänzung zum Dietl, denn er enthält einiges an ausgesuchtem Wortschatz, der im Dietl fehlt, deckt allerdings nicht so viele Rechtsgebiete ab. Das sehr nützliche große Law Dictionary von Beseler/Jacobs-Wüstefeld wird anscheinend nicht mehr aufgelegt.

In letzter Zeit gibt es am Markt eine Schwemme von erschwinglichen, aber sehr kleinen bidirektionalen deutschen und englischen Rechtswörterbüchern, manchmal mit CD-ROM, aber als Übersetzerin brauche ich ein umfassenderes Nachschlagewerk. Es gibt den Dietl jetzt auch als CD-ROM.

Beispiele aus dem Inhalt

Die Vorteile des Dietl lassen sich zum Beispiel am Eintrag zu Prokura aufzeigen, denn der Sachverhalt wird zweisprachig und vergleichend erklärt:

Prokura „prokura“; full power of attorney; (ungenau) commercial procuration

Prokura ist die dem Prokuristen von dem Inhaber eines Handelsgeschäftes erteilte Vollmacht, alle Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen vorzunehmen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Die Prokura ist im Handelsregister einzutragen.

„Prokura“ is the power of attorney granted to the Prokurist under the provisions of the Commercial Code conferring authority to act on behalf of the principal (owner of a commercial firm) in respect of all transactions in and out of court within the scope of mercantile trade. The „Prokura“ has to be entered in the Commercial Register.

Kleine Schönheitsfehler: Im Original sind die Anführungszeichen nicht korrekt, und das deutsche Wort Prokura wird im englischen Text mal groß und mal klein geschrieben. Die als „ungenau“ qualifizierte Übersetzung commercial procuration scheint mir etwas ausgefallen – der Begriff procuration ist recht selten (außer im Recht von Louisiana) und scheint mir nicht allgemein verständlich zu sein.

Ein zweisprachiges juristisches Wörterbuch sollte man nur als Hilfe ansehen, man darf ihm nicht in allen Fällen unreflektiert folgen. Wer bei einem Projekt dieses Umfangs Fehlerfreiheit oder Vollständigkeit voraussetzt, geht mit falschen Erwartungen an das Wörterbuch heran. Man muss natürlich mehr als eine Ahnung vom Fachgebiet haben.

Hier ein Beispiel für einen Eintrag, der juristisches Wissen voraussetzt:

Anwalt lawyer; counsel; Br barrister (at law); Br solicitor; Am attorney (at law); Am counsel(l)or; Scot bes. advocate; Am (der sich auf Prozessführungen spezialisiert hat) litigator; (vor dem intern. Gerichtshof) advocate; …

Hier fehlen einige Informationen: der Unterschied zwischen barrister und solicitor, dass advocate in Schottland dasselbe wie barrister in England ist, wie der Gebrauch von counsel in Br und Am sich unterscheidet. Die gewählte Übersetzung eines Begriffs hängt oft auch vom Auftraggeber oder von der Textsorte ab. Ich habe noch nie Anwalt mit solicitor oder barrister übersetzt und frage mich manchmal, warum Rechtswörterbücher vor allem barrister als zielsprachliche Möglichkeit angeben.

Aber ganz selten geben Rechtswörterbücher mehr Hilfe als hier. Wenn man nicht weiß, wie die vorgeschlagenen Zieltermini sich unterscheiden, lohnt es sich manchmal, die gefundenen Zieltermini in der anderen Sprachrichtung zu überprüfen. Es kann auch hilfreich sein, Rechtswörterbücher für andere Sprachkombinationen anzuschauen (wie Potonnier für Französisch oder de Franchis für Englisch/Italienisch).

Im Dietl findet man übrigens zweisprachige Anmerkungen nicht nur zu Rechtsinstituten, sondern auch zu Gerichten. Es gibt auch viele nützliche Querverweise zu Gesetzesparagrafen (leider hinten in den Fußnoten) und 11 Seiten Abkürzungen am Anfang.

Ein weiterer Unterschied zu Konkurrenzwörterbüchern ist die Kennzeichnung verschiedener Rechtsgebiete: Hier findet man Termini zu Versicherungsrecht (VersR), Internationalem Privatrecht (IPR) oder Völkerrecht (VölkerR), die woanders kaum aufgeführt sind. Beispiel: bei Schaden steht auch (VersR) claim.

Änderungen seit der letzten Auflage

Die 4. Auflage erschien bereits 1992, also vor 13 Jahren. Die 5. Auflage verwendet die neue deutsche Rechtschreibung, und das Buch hat einen schönen roten Einband statt des früheren braunen bekommen.

Laut Verlag ist neuer Wortschatz vor allem aus dem Insolvenzrecht, Mietrecht, Geld-, Bank- und Börsenwesen, Finanzdienstleistungen und Gesellschaftsrecht enthalten, und obsolete Begriffe wurden weitgehend entfernt. (Da man aber oft ältere Texte übersetzen muss, kann es nützlich sein, ältere Auflagen zu behalten.)

Geändert haben sich in diesem Zeitraum auch Begriffe in der Zielsprache Englisch, und es ist viel mehr EU-Rechtswortschatz hinzugekommen. Mir sind zum Beispiel bei Stichproben folgende neue oder geänderte Einträge aufgefallen: Euro, Fernabsatz(vertrag), Abmahnung, Derivat, viele EU-Richtlinien, Partnerschaftsgesellschaft, Marke (war schon enthalten, aber jetzt verweist Warenzeichen statt auf Zeichen auf einen längeren Eintrag unter Marke).

Fehlende Änderungen in der Zielsprache

In den letzten Jahren wurden mehrere neue Termini in England und Wales eingeführt, auch, wenn der Begriff sich nicht grundlegend verändert hatte. Die Civil Procedure Rules (CPR) von 1998, seit April 1999 in Kraft, brachten eine Reihe Änderungen, beispielsweise:

Bis 1999 Seit 1999
plaintiff claimant (Kläger(in))
pleading statement of case (Schriftsatz)
interlocutory relief interim remedy
in camera in private
leave of court permission of court
next friend/guardian ad litem litigation friend

Übersetzer in Großbritannien, die für britische Kunden arbeiten, benutzen seit 1999 für Kläger ausschließlich claimant. Im Dietl steht aber:

Kläger plaintiff; complainant; applicant; Am suitor; (z.B. im Schiedsverfahren) claimant; (in Ehescheidungssachen) petitioner; Scot pursuer; …

Es fehlt auch parental responsibility für elterliches Sorgerecht (seit Children Act 1989). Für Eigentumswohnung oder Wohnungseigentum erwartet man heutzutage auch Br commonhold und für Strafbefehl Br fixed penalty notice.

Fehlende deutsche Einträge

Hier habe ich andere Begriffe vermisst (wobei das Nachschlagen zum Teil so verwirrend ist, dass ich vielleicht manchmal zu früh aufgegeben habe): Lebenspartner (seit ein paar Jahren sogar im BGB); Internationaler StrafgerichtshofDue DiligenceBundespolizei (auch Bundesgrenzschutz fehlt), Vermögensstrafe (es ist verfassungswidrig, aber es wird noch davon geredet).
Abgesehen von diesen neueren Termini fehlen auch einige Standardbegriffe. Wer Übersetzer-Mailinglisten abonniert hat, weiß, dass manche Begriffe in den Wörterbüchern fehlen und oft gesucht werden. Beispiele: salvatorische Klauselgemeinschaftliches KindAbstammungsurkundedie Kosten werden gegeneinander aufgehoben (fehlt in dieser Zusammensetzung: sich gegeneinander aufheben: to offset each other hilft hier nicht), Randziffer/Randzahl und Rz., b.b. (bereits benannt), m.w.N.Stückaktie.

Korrektur von Fehlern

Ein paar Fehler aus der früheren Auflage blieben unkorrigiert, beispielsweise eine Vereinbarung vertraglich abbedingen: to contract out an agreement statt to contract out of an agreementan Erfüllung: in lieu of performance (sollte an Erfüllungs statt heißen); Zwangsmittel: … coersive measures (sollte coercive heißen).

Fazit

Dietl ist wahrscheinlich das beste Rechtswörterbuch in dieser Sprachkombination, das wir haben. Kein Rechtsübersetzer sollte ohne dieses Standardwerk arbeiten. Eine Neuauflage war nach 13 Jahren dringend nötig.

Schade nur, dass so viele Neuerungen in der englischen und deutschen Rechtssprache übersehen wurden. Die hier aufgeführte Liste mit neuen Begriffen ist irreführend kurz, es gibt sehr viel mehr. Bei einigen der Auslassungen fragt man sich, ob es nach dem Tod von Frau Dietl eine Pause in der terminologischen Recherche gegeben hat. Man kann nur hoffen, dass dieses Werk in Zukunft weiter gepflegt und auf den neuesten Stand gebracht wird.

Bibliografische Angaben

Dr. jur. Clara-Erika Dietl†/Dr. Jur. Egon LorenzWörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik. Mit Kommentaren in deutscher und englischer Sprache, Teil II, Deutsch-Englisch, 5. völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage, 899 Seiten, 148 Euro, Verlag C.H.Beck, München, 2005, ISBN 3-406-48067-5.

[Text: Margaret Marks, Solicitor (non-practising) und Übersetzerin aus Fürth, www.margaret-marks.com/Transblawg. Die Rezension erschien zuerst im Infoblatt 5/2005 des ADÜ Nord. Bild: C.H. Beck.]