Türkei: Islamisierende Übersetzung von Literatur, Fernsehen setzt Miss Piggy als „unreines Schwein“ ab

In der Türkei ist ein Streit über die Praxis konservativer Verlage entbrannt, westliche Klassiker wie Heidi, Pinocchio oder Robinson Crusoe bei der Übersetzung ins Türkische zu islamisieren. Laizisten kritisieren, dass zum Beispiel bei Begrüßungen die religiöse Alltagssprache gläubiger Muslime im Übermaß verwendet werde. In der linken Berliner Wochenzeitung Jungle World schreibt Conny Letsch dazu:

Im Vorwort der Ausgabe von Pinocchio wird sogar unterstrichen, dass die im Buch beschriebene Geschichte vom islamischen Glauben abweiche und „nur Allah durch seinen Atem Holzpuppen zum Leben erwecken kann“. Pinocchios Schöpfer Gepetto […] trägt einen Fez. Und in Heidi von Johanna Spyri wurden Gebetszenen hinzugefügt […]. Robinson Crusoe […] wird eine Affinität zum islamischen Glauben zugeschrieben.

Necdet Neydim, Übersetzungswissenschaftler und Dozent an der Fakultät für Literatur und westliche Sprachen der Universität Istanbul, kritisiert dieses Vorgehen. Eine Übersetzung müsse die Fremdheit verteidigen, nur so könne sie dem Leser die andere Kultur näherbringen.

Umstritten ist auch die Übersetzung des Wortes „Gott“ in Wendungen wie „Oh, mein Gott!“. Statt des muslimischen „Allah“ sollte nach Ansicht der Kritiker das Wort „Tanri“ verwendet werden, das sich aus dem alttürkischen „Tengri“ ableitet.

Auch die elektronischen Medien stehen bei der Übernahme westlicher Filme und Serien vor ähnlichen Problemen. Im Juni nahm der staatliche Fernsehsender TRT die Sendungen Winnie the Pooh und die Muppet Show aus dem Programm, da in beiden Serien Schweine als sympathische Charaktere auftreten, obwohl diese im Islam als unreine Tiere gelten.

Auch deutsches Fernsehen zensiert aus Sorge um das Seelenheil des Zuschauers

Auch im deutschen Fernsehen werden aus Sorge um das Seelenheil des Zuschauers Inhalte zensiert. So hat die öffentlich-rechtliche ARD in den 1980er Jahren aus der amerikanischen Detektivserie Magnum alle Passagen herausgeschnitten, in denen es in Rückblenden um den Vietnamkrieg ging. (Die Hauptfiguren haben sich in einer Einheit in Vietnam kennen gelernt und werden immer wieder mit ihren traumatischen Erlebnissen konfrontiert.) Einzelne Folgen, die hauptsächlich Vietnam zum Thema hatten, wurden gar nicht erst synchronisiert, sondern gleich aussortiert.

Der private Fernsehsender RTL musste wegen der Eingriffe der ARD für die Neuausstrahlung der Serie in den 1990er Jahren alle Staffeln neu übersetzen und synchronisieren lassen.

[Text: Richard Schneider. Quelle: Jungle World 40/2006.]