Christine Holtz-Stosch zur Bedeutung der DIN EN 15038 für die Praxis der Übersetzungsdienstleister

Christine Holtz-Stosch
Christine Holtz-Stosch

Christine Holtz-Stosch, Geschäftsführerin der Sprachendienste Holtz-Stosch GmbH in Schorndorf bei Stuttgart, über die Bedeutung der DIN EN 15038 für die Praxis der Übersetzungsdienstleister:

Der Übersetzungsmarkt ist sehr vielschichtig, ja fast unübersichtlich. Das gilt für Deutschland und für den Rest der Welt noch mehr. Das Spektrum ist extrem breit gefächert: von Hobby-Übersetzern über mittelständische Agenturen bis zu globalen Übersetzungskonzernen ist alles vertreten. Laut Statistischem Bundesamt gab es 2004 in Deutschland 18.507 Unternehmen bzw. Einrichtungen. Der Großteil entfiel auf Einzelunternehmer. Mit weitem Abstand folgten die Kapital- und Personengesellschaften. Für Europa lagen noch keine Daten vor.

Ebenso heterogen ist die Kundenstruktur: die möglichen Zielgruppen für Übersetzungsdienstleister reichen von nationalen und internationalen Behörden oder Global Playern über unternehmensnahe Dienstleister bis hin zu Start-ups. Jeder Kunde hat individuelle Termin-, Preis- und Qualitätsanforderungen. Auftraggeber können die Übersetzungsqualität selbst positiv beeinflussen – z.B. durch Ausgangstexte, die keine landesspezifischen Abkürzungen, Symbole oder Datumsformate enthalten. Wichtig ist auch die frühzeitige Festlegung der Sprachvariante einer Übersetzung: Englisch für Großbritannien oder USA, Spanisch für Spanien oder Mexiko.

Da die Berufsbezeichnung „Übersetzer“ nicht gesetzlich geschützt ist, kann sich jede/r so nennen und selbständig machen. So erklären sich die erheblichen Qualitäts- und Niveauunterschiede innerhalb der Branche. Und nichts ist schwerer zu normen als Menschen und ihre Sprache. Dennoch gibt es zwei Ansätze, die in der Branche bereits zur Qualitätsverbesserung genutzt werden:
Zum einen kann in einem Unternehmen die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems nach der branchenübergreifenden ISO 9001 sinnvoll sein. Die zweite Variante – und hier wird speziell auf die Übersetzungsbranche eingegangen – ist die Anwendung der neuen, für Übersetzungsdienstleister relevanten Europäischen Norm DIN EN 15038 : 2006 (bis Juli 2006: DIN 2345) (zu beziehen über www.beuth.de).

Die DIN EN 15038 definiert Mindeststandards für Übersetzungsdienstleister und unterstützt somit Auftragnehmer und -geber, die sich bei der Auftragsabwicklung auf diese Norm stützen. Bis November 2006 wird die Norm in 29 europäischen Ländern den Status einer nationalen Norm erhalten.

Das DIN Deutsches Institut für Normung e.V. ist Inhaber des bekannten europäischen DIN EN-Verbandszeichens. DIN CERTCO Gesellschaft für Konformitätsbewertung mbH (www.dincertco.de), ist die Zertifizierungsgesellschaft der TÜV Rheinland Gruppe und des DIN, und registriert Übersetzungsdienstleister, die Dienstleistungen nach DIN EN 15038 anbieten.
Die Registrierung bei DIN CERTCO ist eine eigenverantwortlich abgegebene Konformitätserklärung eines Übersetzungsdienstleisters mit der Norm. Für mittelständische Agenturen und Freelancer, die auf Freiwilligkeit setzen, ist die DIN CERTCO-Registrierung sinnvoll.

Durch ein normenkonformes Angebot dokumentieren registrierte Übersetzungslieferanten ihre hohen Qualitätsansprüche und bieten ihren Kunden Transparenz. Sie können sich von ihren Mitbewerbern differenzieren und sind im unübersichtlichen Übersetzungsmarkt bei der Akquisition von Aufträgen im Vorteil.

Die neue DIN EN-Norm kann auch als Vertragsgrundlage verwendet werden. Kunden und Dienstleister haben damit ein hohes Maß an Klarheit und Rechtssicherheit. Dies ist für öffentlichkeitswirksame Texte wie Kundenzeitschriften, Websites oder Werbung besonders wichtig. Entfällt beispielsweise das Korrekturlesen, kann in letzter Minute ein Haftungsfall entstehen. Auf diese Weise wurde auf der Website eines großen Konzerns aus dem „Großkunden“ der „Grobkunde“.

Die bisherige deutsche Norm DIN 2345 regelte nur die Ausführung des einzelnen Übersetzungsauftrags. Die DIN EN 15038 stellt darüber hinaus hohe Anforderungen an die personellen und technischen Ressourcen, das Qualitäts- und Projektmanagement sowie die Arbeitsprozesse von Anbietern. Insbesondere dem Projekt- und Qualitätsmanagement kommt dabei zentrale Bedeutung zu. Für die Abwicklung von Übersetzungsaufträgen, den Kundenkontakt sowie die firmeninterne Qualitätssicherung müssen definierte Prozesse umgesetzt werden. Die IT-Infrastruktur des Übersetzungsanbieters muss auch sensiblen Bereichen Rechnung tragen und die Geheimhaltung und Archivierung von Dokumenten sicherstellen. Nur die wenigsten Dienstleister sind technisch in der Lage, Projekte langfristig zu archivieren. In der Praxis kommt es aber immer wieder vor, dass Kunden noch nach Jahren nach alten Übersetzungen fragen – sei es, weil der interne Server crasht oder ein gekündigter Mitarbeiter die Dateien mutwillig gelöscht hat.

Eine wichtige Rolle spielt für hochwertige Übersetzungen auch die Standardisierung des Vokabulars und die kundenspezifische Terminologiepflege durch den externen Lieferanten. Bei der Übersetzung umfangreicher technischer Dokumentationen, die bei engen Zeitvorgaben von mehreren Übersetzern angefertigt werden, muss die Konsistenz des Vokabulars gewährleistet werden. Dafür ist der Einsatz von Translation Memories erforderlich. Als Speichersoftware unterstützen sie den Translationsprozess, ermöglichen aber keine maschinelle Übersetzung.

Ein erfolgreiches Übersetzungsmarketing setzt voraus, dass Qualität und Kompetenz eines Anbieters klar auf dem Markt kommuniziert werden. Bei der Suche nach einem passenden Übersetzer haben die Kunden die Qual der Wahl. In puncto Qualität und Preise liegen oft Welten zwischen verschiedenen Outsourcing-Partnern. Und Spitzenhonorare bürgen nicht automatisch für Spitzenqualität. Gerade angesichts dieser Marktlage sollten seriöse Übersetzungsdienstleister potenziellen Auftraggebern schon in der Akquisitionsphase ihren Leistungsstandard dokumentieren.

Von der neuen Europäischen Norm DIN EN 15038 : 2006 und der DIN CERTCO-Registrierung profitieren also alle Akteure, die mit Übersetzungen zu tun haben: registrierte Übersetzungsdienstleister grenzen sich europaweit von nicht-registrierten Anbietern ab und verbessern ihre Marktpositionierung. Auftraggeber können anhand dieser Norm prüfen, ob ihr externer Übersetzungslieferant über ein straffes Qualitäts- und Projektmanagement verfügt. Wenn die Norm als Vertragsgrundlage verwendet wird, haben beide Parteien ein erhebliches Maß an Rechtsklarheit.

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  • 2003-11-03: Neue Norm für Übersetzungsdienstleistungen in Kraft: DIN EN 15038 löst DIN 2345 ab

[Text: Christine Holtz-Stosch. Quelle: Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Website der DIN CERTCO, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der DIN CERTCO. Bild: Holtz-Stosch.]