Die Geschichte unserer Berufsgruppe zwischen 1933 und 1945 ist nach wie vor nicht dokumentiert. Umso mehr freuen wir uns über jedes Fundstück, das ein wenig Licht ins Dunkel bringt.
Der Romanist Werner Krauss (1900-1976) beschreibt in einem kurzen Bericht seine Jahre in der Dolmetscher-Lehrkompanie Berlin (1940 -1943). Krauss war Dozent an der Universität Marburg, als er am 9. August 1940 als Ausbilder für Spanisch und Französisch in die Dolmetscher-Lehrkompanie eingezogen wurde. Deren Aufgabe war es, Sprachmittler für die Wehrmacht auszubilden.
Die Dolmetscher-Lehrkompanie Berlin stand unter der Leitung des Majors Otto Monien, der gleichzeitig Leiter der Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen (RfD) in der Deutschen Rechtsfront war. Die RfD war damals so etwas wie eine Kammer und der Berufsverband aller Sprachmittler.
Sie betrieb Dolmetscherschulen, gab Fortbildungszeitschriften heraus und stellte die Ausweise des Dolmetscher-Bereitschaftsdienstes aus. Außerdem saß Monien als Leiter der RfD als Beisitzer im Prüfungsausschuss des damaligen Dolmetscher-Instituts der Universität Heidelberg.
„Wunsch nach Untergang des Nationalsozialismus ganz offen geäußert“
In einem nach dem Krieg abgefassten Bericht charakterisiert Krauss seine Truppe wie folgt (zitiert nach: Karlheinz Barck [Hg.]: Werner Krauss – Essays zur spanischen und französischen Literatur- und Ideologiegeschichte der Moderne. Berlin: Walter de Gruyter, 1997. Seite 701.):
Die meisten Einberufenen waren Dozenten, Studienräte, Missionare oder Kaufleute mit langjähriger Auslandserfahrung. Das österreichische Element überwog.
In politischer Hinsicht war dieser Verband vollständig „zersetzt“. Da hier niemand befördert wurde (außer zu Sonderführern), blieb die Freiheit der Intelligenz unbelastet von dem Zwang, sich den Lebensformen und der Denkungsart der Offizierskaste anzupassen. Der Wunsch eines baldigen Kriegsendes und die Hoffnung auf den Untergang des Nationalsozialismus waren allgemein und wurden auch in allen Dienst- und Schlafräumen ganz offen geäußert.
Wir bemerkten freilich sehr bald, daß andere Soldaten, mit denen wir gelegentlich zu tun hatten, für unsere Haltung sehr wenig Verständnis hatten.
Unsere Arbeit war militärisch völlig fruchtlos. Es wurden fast sämtliche Sprachen der Welt (auch Negersprachen, Siamesisch usw.) gelehrt, und zwar wurden typische militärische Situationen (Gefangenenverhöre, Quartiermachen usw.) dem Unterricht zugrunde gelegt.
Die kämpfende Truppe ließ sich aber nur selten Dolmetscher von uns verschreiben und hatte ein nicht unberechtigtes Mißtrauen gegen die in Berlin abgestempelten Dolmetscher ohne Kriegserfahrung. […]
Major Monien wollte mich zu meiner geringen Freude zum Sonderführer mit Offiziersrang machen, aber nach seinen Andeutungen stellte die Partei ein unübersteigbares Hindernis in den Weg. Auch lehnte ich es ab, mich während der Kriegszeit in irgeneiner Funktion ins besetzte Gebiet schicken zu lassen.
Monien gab militärische dolmetscherische Publikationen über verschiedene Sprachgebiete heraus, wozu ich spanisches Sprachmaterial zu liefern hatte.
Außerdem versuchte ich in der Zusammenarbeit mit meinem Freund González Vicén [spanischer Rechtshistoriker mit Lehrauftrag an Berliner Universität] durch kleinere Veröffentlichungen die deutsche Spanienpolitik nach Maßgabe meiner Kraft zu verwirren.
Zum Tode verurteilt – Nach dem Krieg Dozent in Leipzig
Werner Krauss (Bild rechts) wurde 1943 wegen seiner Beteiligung an Aktionen der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ zum Tode verurteilt und entging nur durch die Fürsprache zahlreicher Professoren (u. a. Gadamer) knapp der Vollstreckung.
Nach dem Krieg lehrte er zunächst in Marburg, dann lange an der Universität Leipzig und auch in Berlin.
Dolmetscher für völkisches Gedankengut weniger empfänglich?
Der Schilderung von Krauss ist zu entnehmen, dass die überdurchschnittlich gebildeten, weltoffenen und oft auslandserfahrenen Sprachmittler der Dolmetscherkompanien in ihrer überwiegenden Mehrheit für den von der Partei- und Staatsführung gepredigten Nationalismus, Rassismus und Militarismus unempfänglich waren.
Dies deckt sich mit anderen uns bekannten Zeitzeugenberichten, etwa denen des Hauptmanns Dr. Rupprecht Gerngroß, Leiter der Dolmetscherkompanie des Wehrkreises VII (Süd-Bayern). Gerngroß führte in den letzten Kriegstagen einen Putschversuch gegen das Naziregime in Bayern an (Freiheitsaktion Bayern). Dieser misslang und kostete 41 Verschwörer, darunter sehr viele Dolmetscher, das Leben. Ihm zu Ehren wurde nach dem Krieg in München-Schwabing der Feilitzschplatz in Münchner Freiheit umbenannt.
Weiterführender Link
Richard Schneider