Deutscher Bundestag kritisiert Übersetzungspolitik der EU

Leonard OrbanDer EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit, Leonard Orban (Bild oben), berichtete den Mitgliedern des Europaausschusses in einer Sondersitzung am 12.02.2009 über die aktuelle Handhabung des EU-Sprachenregimes. Anschließend traf er zu einem Gespräch mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (Bild unten) zusammen. Wie auch die Mitglieder des Ausschusses äußerte Lammert bei dem Treffen „unsere anhaltende Unzufriedenheit über das Unvermögen der Kommission, den Anspruch der Gleichberechtigung aller Mitgliedstaaten bei den Übersetzungen einzulösen oder zu einer notwendigen Neuregelung zu kommen.“

Er habe zwar „Verständnis für die objektive Überforderung des EU-Sprachenregimes“, sagte Lammert. Derzeit erfordern die 23 Sprachen der 27 Mitgliedstaaten rund 500 Sprachkombinationen und über 2000 Übersetzer, die heute schon nicht mehr alle Übersetzungen gewährleisten können. „Doch ohne eine Reform des Sprachenregimes ist ein Kollaps absehbar“, erklärte Lammert. Er regte daher gegenüber Orban die Einrichtung einer Arbeitsgruppe mit Vertretern der Kommission und der nationalen Parlamente an, die nach einer überzeugenden Alternative für das geltende Sprachregime suchen sollte.

Norbert LammertOrban begrüßte den offenen Dialog mit dem Europaausschuss und dem Präsidenten und äußerte: „Auch mit 23 offiziellen Sprachen kommen wir unseren Verpflichtungen für die Übersetzung von allen Gesetzesvorschlägen nach.“ Er führte weiter aus: „Ich bin davon überzeugt, dass derzeit ein pragmatischer Ansatz, von Fall zu Fall angewandt, den verschiedenen Interessen der Mitgliedsstaaten am besten gerecht wird, auch denen von Deutschland. Allerdings bleibe ich offen für andere Überlegungen. In den Gesprächen wurden verschiedene Varianten skizziert.“

Die Abgeordneten wiesen den Kommissar darauf hin, dass von den Ausschüssen des Bundestages inzwischen 60 Dokumente zurückgestellt wurden, da man über diese mangels Übersetzung noch nicht beraten könne. Der Eindruck auf deutscher Seite, dass weniger Dokumente als früher ins Deutsche übersetzt werden, sei falsch, verteidigte sich Orban.

Nach Betrachtung seiner bisherigen Aktivitäten ziehe er eine „positive Bilanz“. Besonders unterstrich der Kommissar allerdings die Problematik, dass ihm einerseits nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung stünden, andererseits aber die Anzahl der Sprachen der EU durch die Erweiterungsrunden stetig gestiegen sei. „Die Erhöhung des Übersetzungsvolumens erfolgt nicht kostenneutral“, sagte er. Hauptziel seiner Politik, erläuterte Orban, sei „die Vielfalt innerhalb Europas zu managen“. Angesichts von 23 Amtssprachen, drei Alphabeten und 60 Minderheitensprachen, sei dies gerade in seinem Arbeitsfeld eine anspruchsvolle Aufgabe.

Die Union gab zu bedenken, dass es ihr bei der anstehenden Europawahl schwerfalle, den Bürgern den europäischen Gedanken zu vermitteln, wenn selbst Abgeordnete zentrale Dokumente wegen unzureichender Übersetzungen nicht gänzlich verstehen. Die SPD forderte Orban auf, auf die Mitgliedsstaaten zuzugehen und sie zu fragen, in welchem Umfang er Unterstützung von ihnen erwarten könne. Die FDP brachte zum Ausdruck, dass es für sie unerlässlich sei, dass Parlamentarier, wie auch Bürger, Gesetze in ihrer Muttersprache lesen können. Nach Meinung der Linksfraktion sei eine Investition in die Sprachen eine Investition in die Demokratie. Im Umkehrschluss spare man also an Demokratie, wenn man an Sprachen spare. Die Grünen wiesen auf das generelle Akzeptanzproblem der EU in der Bevölkerung hin. Den Abgeordneten käme somit die wichtige Rolle zu, die Popularität Europas zu verbessern. Dazu sei es nötig, alle Dinge, die die EU beträfen zu verstehen.

[Text: Deutscher Bundestag. Quelle: Pressemitteilung Deutscher Bundestag, 2009-02-13. Bild: EU, CDU.]