Welche Rolle spielt die Zertifizierung nach EN 15038 bei der Beauftragung von Sprachdienstleistern?

Sauberer, Scheibenpflug, Gasser, Kern
Die Referenten Sauberer, Scheibenpflug, Gasser und Kern auf dem Infoabend in Wien

Die Qualitätsnorm EN 15038 zielt darauf ab, transparente Standards für Sprachdienstleister zu definieren, die neben der Professionalisierung der Branche auch als Orientierungshilfe für Auftraggeber dienen können. Doch bildet die Zertifizierung einen realen Wettbewerbsvorteil? Und kann sie tatsächlich zur Qualitätssteigerung und Vertrauensbildung beitragen? Um diese Fragen zu diskutieren, lud die Berufsgruppe Sprachdienstleister zu einem Infoabend mit Vertretern namhafter österreichischer Unternehmen, der auch überraschende Einblicke in die internationale Aufnahme der Norm gab.

Ob Geschäftsbericht, Gebrauchsanweisung oder Imagebroschüre: Die Übersetzung in eine fremde Sprache bedeutet einen teilweisen Verlust der Kontrolle über die Kommunikation mit Geschäftspartnern und Kunden. Die Beauftragung eines Sprachdienstleisters setzt daher einen nicht unwesentlichen Vertrauensvorschuss voraus. Doch wie findet man in der Vielfalt der Anbieter, die ihre Dienste mit weitgehend ähnlichen Versprechen und Zusagen anpreisen, einen kompetenten, seriösen und verlässlichen Kooperationspartner?

„Nachts sind alle Katzen grau – und damit sind sie ebenso verwechselbar wie die Versprechen der unterschiedlichen Anbieter am Markt. Im Dickicht der Dunkelheit helfen leuchtende Leitschienen. Die Zertifizierung durchleuchtet und beleuchtet Übersetzungsdienstleister und gibt Auftraggebern die Sicherheit, dass ihr Kooperationspartner die wesentlichsten Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Arbeit mitbringt“, erläutert Mag. Sabine Kern, Vorsitzende des Berufsgruppenausschusses Sprachdienstleister der Wirtschaftskammer Wien, das wirtschaftliche Potential der EN 15038. Doch bestätigt die praktische Erfahrung die Erwartungen an den ökonomischen Nutzen der Zertifizierung? Ist sie wirklich ein relevantes Kriterium bei der Auftragsvergabe?

Die EN 15038 im Rampenlicht

Unter dem Motto „Legen Unternehmen Wert auf Zertifizierung?“ widmete sich der Infoabend der Berufsgruppe Sprachdienstleister der Wirtschaftskammer Wien am 26. Jänner 2011 der Frage, welche Bedeutung der Norm sowohl auf Auftraggeberseite als auch branchenintern beigemessen wird. Die Diskussion zeigte deutlich, dass die Zertifizierung nach einer prozessorientierten Norm wie der EN 15038 grundsätzlich weder Voraussetzung noch Garant für herausragende Übersetzungen sein kann. Sie zeigte aber auch, dass die Norm sehr wohl für Auftraggeber eine wertvolle Orientierungshilfe bei der Auswahl von Kooperationspartnern darstellen kann – vorausgesetzt, diese kennen die Norm und ihre Bedeutung für die Arbeit von Sprachdienstleistern. Dies wurde auch von Mag. Yvonne Gasser, bei der Zumtobel-Tochter Tridonic für die Beauftragung und Koordination von externen Sprachdienstleistern verantwortlich, bestätigt: „Aufgrund der positiven Erfahrungen mit einem zertifizierten Sprachdienstleister wäre die Zertifizierung nach EN 15038 für mich heute zwar nicht das einzige, aber doch ein relevantes Kriterium bei der Auswahl neuer Kooperationspartner. Hätte ich allerdings diese Erfahrungen nicht, würde die Zertifizierung für mich wohl kaum eine Rolle spielen.“

Verstärkter Kommunikationsbedarf vor kulturellen Hindernissen

Berufsgruppenausschuss-Vorsitzende Mag. Sabine Kern leitet aus diesem Ergebnis verstärkten Kommunikationsbedarf, vor allem über die Grenzen der Branche hinaus, ab. Dr. Gabriele Sauberer, weltweit tätige LICS-Auditorin für EN 15038, fordert allerdings auch branchenintern eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema ein. Denn der internationale Vergleich zeigt deutlich, dass die Akzeptanz der Norm im deutschsprachigen Raum ebenso wie in Japan eher gering ist, während in aufstrebenden Wirtschaftsregionen der Nachweis von Qualitätsstandards viel unmittelbarer als Wettbewerbsvorteil erlebt wird. Dies ist auf den ersten Blick erstaunlich, als gerade diese Wirtschaftsräume für ihren ausgeprägten Sinn für Qualität bekannt sind. Doch dabei handelt es sich nur um einen scheinbaren Widerspruch, wie die Expertin aufzeigt: „Bei uns gilt Perfektion traditionell als Maßstab für die eigene Leistung. Die Institutionalisierung von Kontrollmechanismen, wie sie im Rahmen der EN 15038 erfolgt, wird daher eher skeptisch wahrgenommen. Wir müssen aber lernen, Tools zur Fehlervermeidung viel mehr als bisher als Chance zu begreifen.“ Dies trifft umso mehr zu, als Übersetzer häufig unter enormem Zeitdruck arbeiten müssen, wie Mag. Kurt Scheibenpflug, Technische Dokumentation Franz Haas Waffel- und Keksanlagen-Industrie GmbH, bestätigt: „Ohne die notwendigen Dokumentationen können wir unsere Maschinen nicht exportieren. Wird die Übersetzung nicht rechtzeitig fertig, ist es für uns nicht leicht, Liefertermine einzuhalten.“

Fachgruppe Wien der gewerblichen Dienstleister – Berufsgruppe Sprachdienstleister
Die Fachgruppe der gewerblichen Dienstleister ist die gesetzliche Interessenvertretung der rund 700 gewerblichen Übersetzer und Übersetzungsbüros in Wien. Ziel der Berufsgruppe Sprachdienstleister unter Vorsitz von Mag. Sabine Kern ist die Professionalisierung des Berufsstandes. Innerhalb Österreichs umfasst dies die Förderung des Qualitätsbewusstseins und des Nachwuchses, die Durchführung von Aus-, Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen, Networking und die Etablierung von Kooperationstools sowie die Bewusstseinsbildung für die zunehmende Relevanz internationaler und interkulturellen Verständigung. Auf internationaler Ebene zählen die Förderung des Erfahrungsaustauschs mit Übersetzer- und Dolmetscherverbänden in anderen Ländern sowie  der internationalen Zusammenarbeit mit Ausbildungsstätten für Übersetzer und Dolmetscher zu den Zielen der Berufsgruppe. Details auf der Website der Wirtschaftskammer Wien.

[Text: Dr. Sabine Unterweger. Quelle: Presseaussendung Wirtschaftskammer Wien, 2011-01-28. Bild: Wirtschaftskammer Wien/Herbst.]

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