Stotterc(h)amp: Raus mit der Sprache

Rund 800.000 Menschen in Deutschland stottern. Das macht etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik aus. Stottern ist eine Störung des Redeflusses. Sie kennzeichnet sich durch

  • häufige Unterbrechungen des Sprechablaufs
  • Wiederholungen von Lauten, Silben oder Wörtern
  • Dehnungen von Sprachelementen
  • stumme oder hörbare Blockaden oder
  • wiederholte zwischengeschobene Laute.

Der Stotternde weiß in diesem Augenblick genau, was er mitteilen möchte, kann es allerdings nicht barrierefrei tun. Dies zählt zu den äußeren, primären Symptomen. Die sekundären Symptome werden durch ein Vermeidungsverhalten deutlich, um dem Stottern und damit auch dem gesellschaftlichen Leben auszuweichen, oder durch ein Fluchtverhalten, mit dem die primären Symptome überwunden werden sollen. Einige Stotternde wenden hierfür eine Technik des Verschleierns an. Oftmals wird das Stottern von auffälligen Verkrampfungen der Gesichtsmuskulatur oder zusätzlichen Körperbewegungen beim Sprechen begleitet.

Die inneren Symptome zeigen sich in negativen Gefühlen, Gedanken sowie Einstellungen, die als Reaktion auf das Stottern entstehen, d.h. also beispielsweise Angst, Scham und Minderwertigkeitsgefühle.

Chronisches Stottern basiert zum einen auf einer motorischen Fehlfunktion. Zum anderen liegen die Ursachen in einer hirnorganischen Disposition. Somit handelt es sich beim Stottern um eine Sprech- und Sprachstörung und letztlich um ein komplexes System, das aus einem Zusammenspiel von Sprachverarbeitung und den Stimmorganen entsteht. Zumeist fangen Kinder mit dem Stottern an, wenn ihre physiologischen, kognitiven und emotionalen Kapazitäten beim Sprechen nicht den Anforderungen des Umfeldes gewachsen sind. Dies ist der Grund dafür, warum die Kinder letztlich aus dem Gleichgewicht geraten und sich überfordert fühlen.

Etwa doppelt so viele Jungen wie Mädchen sind vom Stottern betroffen. Bei vielen verschwindet das chronisches Stottern jedoch durch eine Therapie oder spontan. Das Verhältnis bei Männern und Frauen beträgt 5:1. Experten gehen davon aus, dass die Verteilung daran liegt, dass die Hirnreifungsprozesse bei Mädchen schneller ablaufen und sie sprachtalentierter sind.

Auch beim „Stotterchamp“ in Tägerwilen (Schweiz) vom 17. bis 22. Juli waren mehr Jungs als Mädchen. Der Titel weist einerseits auf den Campcharakter hin. Die Schreibweise des Wortes Camp mit „ch“ ist kein Druckfehler, sondern impliziert eine beabsichtigte Vieldeutigkeit auf die Schweiz, den Veranstaltungsort, die Champions, also die Jugendlichen, die nach der Woche nicht als Verlierer nach Hause gehen sollten, und natürlich auf die Probleme des Stotterns.

Tagsüber hatten die 11- bis 18-Jährigen aus Deutschland und der Schweiz die Möglichkeit, neben sprachtherapeutischen Angeboten an Aktivitäten wie Segeln, Klettern, Tauchen, Schwimmen, Paddeln und Kochen am offenen Feuer teilzunehmen. Das Camp baut auf zehn Jahren Erfahrung in der Stotterintensivtherapie „Sommer Segeln Stottern“ auf. Unterstützt werden die Teilnehmer durch Dozenten der Hochschule für Heilpädagogik Zürich (HfH) und der Freiburger Medizinischen Akademie/Schule für Logopädie. Ziel des Stottercamps war es, gemeinsam Neues auszuprobieren, mit dem Stottern auf eine andere Art und Weise umzugehen, sich behaupten und selbstbewusst auf Menschen zugehen zu können.

„Stottern ist o.k.“ lautete das Motto eines Tages. „Ich kann auch anders“ war der Leitgedanke eines anderen Tages, an dem die Teilnehmer wahrnehmen sollten, wo sich ihr Körper verkrampft, wenn sie raus mit der Sprache wollen und lernen sollten, langsam zu sprechen oder die Wörter zu dehnen. Eine zwölfjährige Regensburgerin bringt die Idee, die dahinter steht, auf den Punkt: „Ich wünsche mir, hier Freunde zu finden, die das gleiche Problem haben wie ich.“

Bettina Gartner hat im Februar 2009 den Artikel „Hier piept’s nicht richtig“ verfasst. Dieser handelt über Singvögel. Nachfolgend ein Auszug:

Auf den ersten Blick ist Erich ein attraktiver Kerl. Er hat einen korallenroten Schnabel, rostbraune Bäckchen, eine schwarze Brust und weiß getupfte braune Flanken – ganz so, wie es sich für einen feschen Zebrafinken gehört. Doch sobald er den Schnabel aufmacht, wird klar, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Bei jedem Lied verheddert er sich bei der letzten Silbe. Statt eines klaren Finales wiederholt er den abschließenden Laut immer wieder: qui, qui, qui. Es hat keinen Sinn. Und klingt irgendwie unbeholfen. Man ahnt Verstörendes: Erich stottert.

Den Artikel können Sie hier in vollständiger Länge lesen.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: badische-zeitung.de, 23.07.2011; bvss.de; wikipedia.de.]

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