Ein Klassiker der Stimmbildung und Sprecherziehung: Der kleine Hey – Die Kunst des Sprechens

Seitdem Julius Hey, der deutsche Gesangslehrer und Musikpädagoge, im 19./20. Jahrhundert das dreiteilige Werk Deutscher Gesangsunterricht veröffentlichte und dem Hauptwerk wegen der oft fehlerhaften Aussprache seiner Schüler den sprachlichen Teil Der kleine Hey hinzufügte, ist vor allem letzterer ein Standardwerk der sprechtechnischen Ausbildung sowohl für Schauspieler, Redner, Geistliche, Lehrer, Sänger, Logopäden, Moderatoren und Manager als auch für Rundfunksprecher, Telefonisten und Berufsredner. Ursprünglich war Heys Lehrweise für seine Schüler und als reine Gesangslehre gedacht. In dieser Rezension wird Der kleine Hey näher beleuchtet.

Inhaltsverzeichnis des Buches:

  • Vorwort des Herausgebers
  • Inhalt
  • Die Stimmprüfung
  • Die Lautlehre
  • Die sprachliche Behandlung der Vokale (Vokalisation)
  • Die sprachliche Behandlung der Konsonanten (Artikulation)
  • Rhythmus und Dynamik der Sprache
  • Das Organ der Stimme
  • Übungsliteratur für den Unterricht
  • Schrifttum

Inhalt der DVD:
DVD-Video:

  • Atmung
  • Vokale
  • Konsonanten
  • Rhythmus und Dynamik
  • „Die Stimme“ (ein Film aus der ZDF-Reihe „Praxis täglich“)
  • Sprechen mit Mikrofon – 20 praxiserprobte Tipps

DVD-ROM-Teil:

  • Aus dem Vorwort der Printausgabe (Fritz Reusch)
  • „Die Stimmprüfung“ – 10 Fragen und Antworten von Julius Hey zum Problem Stimmfehler und Stimmhilfen
  • Die Übungsverse von Julius Hey
  • Die Übungswörter von Julius Hey aus der DVD
  • Ein Trainingsprogramm (voice recording tool): Mit Hilfe eines Mikrofons können ca. 50. Übungen zu Vokalen und Konsonaten angehört, selbst gesprochen, aufgenommen sowie kontrolliert werden.
  • Sprechen mit Mikrofon – die Checkliste
  • Lautbilder: Grafiken des Mund- und Rachenraumes mit Erläuterungen
  • Ein Glossar mit Erklärungen der Fachbegriffe

Das erste Kapitel des Buches („Stimmprüfung“) behandelt zunächst einmal eine eingehende anfängliche Prüfung der Stimme, gefolgt von der Fehlerfindung und den Fehlerbehebungsmöglichkeiten. Beeinträchtigt kein organischer Sprachfehler die Artikulation, kann man sich im Frage-Antwort-Katalog über die häufigsten Stimmfehler sowie -hilfen informieren. Thematisiert werden u.a. sowohl das zu schwache Organ, die größere stimmliche Ausfüllung des Raumes, eine raue Klangbeschaffenheit, die lautreine Vokalbildung als auch das Ausmerzen mundartlicher, angeborener oder durch Gewöhnung eingepflanzter Lautverbildungen.

Auf das Kapitel der Stimmprüfung folgt der Bereich der Lautlehre. Die richtige Aussprache der Laute spielt für Hey eine wichtige Rolle. Nachfolgend ein Zitat aus dem Buch: „Die allen Sprachen gemeinsamen Lautzeichen sind die Vokale und die Konsonanten. […] [Der Vokal ist], als elementarer Grundstoff, das wichtigste Material für die Sprache, ebenso wie für den Gesang. Denn jede durch Gefühl oder Willen hervorgerufene Lautäußerung, sei sie Wort oder Ton, ist ein Vokal.“ (S. 16)

Im Kapitel „Die sprachliche Behandlung der Vokale (Vokalisation)“ werden im ersten Teil die hellen Vokale (A, Ä, E, I) thematisiert. Der Vokal A gilt als neutral, da er der Grundklang fast aller Doppellaute ist und, im Vergleich zu den anderen Vokalen, den größten Spielraum der Klangschattierung hat. Der Vokal A ist „der Inbegriff alles Lautlichen“. Ferner ist das Kapitel in dunkle Vokale (O, Ö, Ü, U) und Doppellaute (AI-EI, AU, ÄU-EU) unterteilt. Diese erläutert er auch im Hinblick auf die physiologische Bildung und gibt im Anschluss eine Reihe von Beispielen und Sprechübungen, die oftmals aus der Lyrik entstammen. Es folgt ein Beispielvers zum dunklen Vokal O:

Oben thront der Nonnen Kloster.
Voll von Trost, voll hoher Wonne
Wohnen dorten fromme Nonnen,
Loben Gott vor Morgenrot.

O Sonne, thronst so wolkenlos!
Schon flog der Vogel hoch empor.
Wohl knospen Rosen schon, wo Moos –
So kommt der holde Sommerflor.
O wonnevoll – ohn’ Sorg , ohn’ Not,
Ob Sonne loht – ob Donner droht,
Dort oben hoch, wo Morgenrot
Gott loben fromm, schon vor dem Tod!

Von den klingenden Vokalen geht Hey auf das Gebiet der Konsonanten über. Eingangs erklärt er Folgendes: „[Die] Selbstlaute sind die Empfindungsträger, weswegen man sie auch als die weiblichen Elemente der Sprache bezeichnet hat; die Mitlaute hingegen wirken formbildend-plastisch, es sind die männlichen Formkräfte.“ (S. 38) Daraufhin stellt er die drei Konsonantengruppen zusammen: Die Klinger (L, N-NG, M, R, W, J), die Reibelaute (Vorderes CH, S, Z, SCH, F, V, PF), die Verschlusslaute (K-CK, G, Q, Hinteres CH, H, D-T, B-P). Diese werden, ebenso wie im Kapitel zuvor, anhand von Beispielen und Übungsversen äußerst praxisnah definiert, sodass das Gelernte vertieft wird.

Nachfolgend ein Auszug aus dem Buch, das auf den Vokal I, den hellsten Selbstlaut, eingeht:

Auf den Hauptteil des Buches, das sich auf die fehlerfreie Aussprache und die natürliche Tongebung beim Sprechen eingegangen ist, werden nun der Rhythmus und die Dynamik in der Sprache thematisiert, das bedeutet also auf die Grundlagen der Sprechgestaltung. „Denn die ‚Die Kunst des Sprechens‘ (im engeren Wortsinn) ist erst dann erreicht, wenn der Schüler den Gehalt einer Dichtung durch entsprechenden Vortrag zu sinngemäßer Wirkung zu bringen vermag. […] [Erst] durch die Verbindung der dynamischen mit den rhythmischen Sprachelementen entsteht die lebendige Gestalt der Dichtung und damit die Aufgabe des künstlerischen Vortrages.“ (S. 63) Untergliedert ist das Kapitel in 1. Silben-, Wort- und Satzbetonung, 2. Hebung und Senkung des Sprechtones, 3. Sprachrhythmus und Versmaß und 4. Zeilen- und Strophenform. Wie bisher werden diese Bereiche sowohl theoretisch als auch praktisch erläutert.

Das Kapitel „Das Organ der Stimme“ widmet sich der Anatomie, der Lehre vom Bau des Stimmorgans, und der Physiologie der Stimme, d.h. der Funktionen der Einzelteile des Stimmorgans. Es werden also die Atmung, Tönung und Lautung, kurz: die Stimmkunde, bearbeitet. Es folgt nun ein Zitat von Hey in Bezug auf die Stimme: „Die menschliche Stimme ist ihrem Ursprung und Wesen nach Ausdruck des Seelischen, sie führt also den Menschen zu sich selbst und zugleich über sich selbst hinaus. Daher kann man im Grund auch keine ‚Stimme bilden‘, ohne daß der Mensch mitreift.“ (S. 80) Bereits die Überschrift dieses Kapitels, „Das Organ der Stimme“, soll den größeren Zusammenhang einer leib-seelischen Ganzheit, eines menschlichen Organismus, dessen lebendiges Glied die Stimme ist, verdeutlichen.

Im Kapitel „Übungsliteratur für den Unterricht“ ist eine Zusammenstellung der Übungsliteratur zu finden, die nach Hey das Gelernte durch Praktisches festigt. Im letzten Kapitel „Schrifttum“ werden alle Werke aufgeführt, die bei der Neubearbeitung des Kleinen Hey mit einbezogen worden sind.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Der kleine Hey nicht ohne Grund zum Standardwerk der Sprech- und Gesangserziehung und regelrecht zur „Sprecherziehungsbibel“ avanciert ist. Das Werk des unbestrittenen Altmeisters der Sprecherziehung verbindet die theoretischen Aspekte mit praktischen Beispielen und gibt ein umfassendes Hintergrundwissen, das notwendig ist, um das Konzept des Sprechens, der Stimme sowie der Aussprache verstehen, daran arbeiten und diese zu vervollkommnen zu können. Vor allem die Sprechübungen sind äußerst hilfreich, um die deutliche Aussprache zu üben und die Mundmuskulatur zu trainieren. Auch wenn mir die Beispiele anfangs etwas „angestaubt“ vorkamen und die alte Ausdrucksweise zu Beginn etwas seltsam war, stört man sich nach einigen Seiten nicht mehr daran. Der kleine Hey ist ein sehr gutes Nachschlagewerk, um einzelne Sprachschwächen gezielt zu optimieren.

Was mir persönlich außerdem sehr geholfen hat, war die DVD, mit der ich die Möglichkeit hatte, Filmaufnahmen mit Schauspielschülern der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst mit Großaufnahmen und Ausschnittsvergrößerungen anzuschauen und dadurch die Öffnung und Bewegung des Mundes und der Zunge zu beobachten. So konnte ich eine richtige Aussprache auch akustisch hören. Man kann problemlos einzelne Laute aussuchen, um seine Stimme und Sprechweise zu verbessern. Die beiden Sprecherzieher Christiane Klann und Marc Aisenbrey machen mit zahlreichen Wörterbeispielen den richtigen Klang deutlich. Klann hat eine natürlich wirkende Sprechweise, wohingegen der Vortrag von Aisenbrey etwas gekünstelt wirkt. Neben den 145 Minuten Filmaufnahmen wird der interaktive Trainingsteil auf der DVD mitgeliefert. Des Weiteren liegen alle Übungswörter und Sprechverse als PDF-Dateien vor, ebenso ein Ausschnitt aus dem Buchvorwort sowie das Kapitel „Stimmprüfung“, die zwanzig Regeln zum Sprechen mit Mikrofon und ein Glossar. Ferner sind Grafiken des Mund- und Rachenraumes zur besseren Veranschaulichung vorhanden.

Natürlich kann man nicht sofort mit Erfolgsergebnissen rechnen. Das Buch ist weniger zum Durchlesen als zum Durcharbeiten gedacht. Man muss geduldig und fleißig sein, um seiner Fehler auszumerzen. Die Übungen sollten regelmäßig wiederholt werden, da es sich schwierig gestaltet, die Sprechweise, die man in den letzten Jahren oder sogar Jahrzehnten an den Tag gelegt hat, von einem Tag auf den anderen zu verändern. Ob Der kleine Hey zum Selbststudium geeignet ist, ist jedoch fraglich, da die Anweisungen teilweise unklar formuliert sind. Daher ist das Buch eher unter Anteilung eines erfahrenen Sprechtrainers zu empfehlen, der gegebenenfalls korrigiert. Insgesamt gesehen hat mich Der kleine Hey dazu angeregt, bewusster zu sprechen und hat mir gezeigt, dass die Stimme die Visitenkarte einer Person ist.

Weitere Informationen zum Buch, der DVD sowie einige Beispielsequenzen aus der DVD finden Sie auf der Website www.der-kleine-hey.de.

Das Buch
Der kleine Hey. Die Kunst des Sprechens
Autor: Julius Hey
Herausgeber: Fritz Reusch
Nach dem Urtext von Julius Hey – Neu bearbeitet und ergänzt von Fritz Reusch
Verlag: Schott Music
Sprache: deutsch
Ausgabenbeschreibung: 52. Auflage, 2006
104 Seiten, Broschur
ISBN: 978-3-7957-8702-8
15,99 Euro

Die DVD
Der kleine Hey. Die Kunst des Sprechens
Autor: Julius Hey
Produzent: Kultur.Medien.Konzepte. – Wolf Seesemann
Verlag: Schott Music
Sprache: deutsch
ISBN: 978-3-7957-6089-2
41,50 Euro

Paketpreis (Buch mit DVD): 54,95 €
ISBN: 978-3-7957-0702-6

[Text: Jessica Antosik. Quelle: Der kleine Hey. Die Kunst des Sprechens. Bilder: schott-musik.de; Der kleine Hey. Die Kunst des Sprechens, S. 27.]