Namibischer Dolmetscher: „Das Gericht ist wie kostenloses Kino.“

Bei der Beweisaufnahme spielen sie lediglich eine Nebenrolle, bei der juristischen Wahrheitsfindung jedoch sind sie unverzichtbar: Gerichtsdolmetscher. Dies ist auch in Namibia der Fall.

Der 63-jährige Michael Kondombolo ist in einem mehrsprachigen Umfeld aufgewachsen. In seinen 15 Jahren Exil war er in Ländern wie Botswana, Sambia, Tansania und Uganda und kam mit Sprachen wie beispielsweise Nyasa, Tswana, Swahili und Xhosa in Kontakt, von denen er noch heute einige spricht oder zumindest versteht. „Man muss eine Sprache regelmäßig benutzen, wenn man sie nicht verlernen will“, so Kondombolo. Zu seinem Freundeskreis gehören unterschiedliche Volksgruppen. Diese Empfehlung spricht er auch seinen Dolmetscher-Kollegen aus, die er zum Teil angelernt hat.

Sein ungewöhnliches Sprachtalent nutzt ihm als Wettbewerbsvorteil. Seit zahlreichen Jahren ist er am Obergericht Windhoek, der Hauptstadt Namibias, als Gerichtsdolmetscher tätig. Angefangen hat seine Dolmetscherkarriere im Jahre 1991. Davor arbeitete er als Fahrer in einem Lampengeschäft. „Eines Tages kam der Magistratsrichter Frikkie Truter in unser Geschäft und hat dort bemerkt, dass ich mich mit verschiedenen Kunden in unterschiedlichen Sprachen unterhalten habe“, erinnert sich Kondombolo. Diese Begegnung hat sein Leben geändert. Truter fragte den damals 43-Jährigen, ob er als Dolmetscher im Magistratsgericht arbeiten wolle. Daraufhin kündigte Kondombolo seinen Job beim Lampengeschäft und begann seine Laufbahn als Dolmetscher. Zu jener Zeit war für die Ausübung dieses Berufs keine formale Qualifikation notwendig. „Ich habe damals lediglich einige Sprachkurse an der Universität absolviert und mir nebenher von Kollegen die erforderliche Fachterminologie angeeignet.“ Nach nur vier Monaten Probezeit wurde er zum Dolmetscher am Regionalgericht befördert. Wegen seiner Arbeit reiste er die nachfolgenden acht Jahre durch das ganze Land. „Es gab damals nur in einigen größeren Ortschaften permanente Gerichte – ich bin also regelmäßig mit den Richtern im ganzen Land umhergefahren und habe als Dolmetscher gearbeitet“, erzählt er.

„Es ist oft so, dass in Strafverfahren mehrere Verdächtige angeklagt sind, die alle andere Sprachen sprechen. Der Staatsanwaltschaft biete ich also den Vorteil, dass ich fast alle Landessprachen beherrsche und bei solchen Prozessen für alle Angeklagten dolmetschen bzw. die Aussagen von Zeugen aus unterschiedlichen Sprachgruppen übersetzen kann.“, berichtet der sprachtalentierte Kondombolo.

Seine Arbeit sieht er als Berufung an. Doch er empfindet sie auch als „große Verantwortung“, denn jeder Angeklagte habe das Recht auf einen fairen Prozess und folglich auch Anspruch darauf, dem in englischer Sprache geführten Verfahren mit Hilfe eines Dolmetschers folgen zu können. Als Dolmetscher müsse er sämtliche Aussagen der Prozessbeteiligten wahrheitsgetreu von einer Sprache in eine andere übertragen.

Angst vor den Angeklagten, die häufig schwerer Gewaltverbrechen beschuldigt werden, habe er nicht. Polizisten seien schließlich immer in seiner Nähe. „Mir ist es in all den Jahren nur einmal passiert, dass mich ein Angeklagter geohrfeigt hat, der mit meiner Übersetzung nicht zufrieden war“, sagt der 63-Jährige.

Auf die Frage, ob er während des Prozesses einschätzen kann, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist, antwortet er folgendermaßen: „Man kann aus der Körpersprache und Stimmlage durchaus Rückschlüsse ziehen. Wenn ein Angeklagter den Blickkontakt meidet oder vor seinen Antworten lange nachdenken muss, liegt die Vermutung nahe, dass er etwas zu verbergen hat.“ Zudem glaubt er anhand der Fragen der Richter abschätzen zu können, wie das Urteil lauten wird.

Vor einigen Jahren hat er seine feste Stelle als Dolmetscher gekündigt und arbeitet seitdem auf freischaffender Basis für das Obergericht. Für Strafverfahren bezahlt im die Staatsanwaltschaft täglich 192 N$. Bei zivilrechtlichen Verfahren wie Scheidungsprozessen und Arbeitsdisputen erhält er von den beteiligten Privatanwälten rund 350 N$ am Tag. „Zum Überleben ist das natürlich zu wenig, zumal ich nicht dauerhaft ausgebucht bin“, erzählt Michael Kondombolo. Ab und an verdient er sich durch Nebenjobs etwas Geld dazu. Trotz allem möchte er seine Arbeit am Gericht nicht vollständigen aufgeben, weil er nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen und sich langweilen könne. „Ich finde die Arbeit noch immer interessant und abwechslungsreich“, erzählt er. „Das Gericht ist wie ein Kino bei dem man keinen Eintritt zahlen muss.“

Michael Kondombolo sagt, ihn könne eigentlich nichts mehr erschüttern. Kurz danach fügt er allerdings hinzu: „An eines werde ich mich aber nie gewöhnen – wenn Frauen und Kinder zu Opfern von Triebtätern werden. Die Konfrontation mit solchen Kriminellen gehört aber leider zu meinem Job.“

[Text: Jessica Antosik. Quelle: az.com, 25.08.2011. Bild: Vzb83 (Wikipedia).]