„Es hat sich gelohnt“ – Dr. Paul Schmidt nimmt 1967 Abschied vom SDI München

Paul Schmidt
Dr. Paul Schmidt als Zeuge bei den Nürnberger Prozessen.

Die Wochenzeitung Die Zeit digitalisiert zurzeit ihr Archiv und stellt es online zur Verfügung. In diesem Fundus befindet sich auch ein Artikel vom 24.02.1967 mit der Überschrift „Der Dolmetscher am Katheder. Ein vielgerühmtes Lehrsystem – Leiter der ‚Schmidt-Schule‘ nimmt Abschied“. Darin heißt es über den scheidenden Direktor des Sprachen- und Dolmetscher-Instituts München (SDI), Dr. Paul Otto Gustav Schmidt:

Dr. Paul Schmidt, Gesandter a. D., war von 1923 bis 1945 Chefdolmetscher deutscher Reichsregierungen. Er selbst bezeichnete sich rückblickend als „Statist auf diplomatischer Bühne“. Ausländische Staatsmänner verzichteten auf eigene Dolmetscher, wenn Paul Schmidt dabei war. Bei der Münchner Konferenz 1938 war er der einzige Dolmetscher – Statist und zugleich Vermittler. 1952 holte ihn das gerade gegründete Münchner ‚Sprachen- und Dolmetscher Institut‘ als Direktor. In diesen Tagen nun scheidet Paul Schmidt aus dem Amt.

Das Blatt beschreibt die Besonderheiten des SDI München:

Das Dolmetscherinstitut gehört einem privaten eingetragenen Verein, bekommt keine Zuschüsse und war in der Anlage eine Sprachenschule wie andere auch, ohne Aussicht, sich mit Universitätsinstituten wie Saarbrücken, Heidelberg oder Germersheim/Mainz messen zu können. Heute heißt es im Volksmund „Schmidt-Schule“ und wird, im Gegensatz etwa zu den städtischen Sprachenschulen mit den Hochschulen in einem Atemzug genannt. […] Die Anforderungen sind hochgeschraubt; die Übungen sind schwerer als die Prüfungen, die Prüfungen schwerer als die Praxis.

Dass sich das SDI einen ausgezeichneten Ruf erarbeiten konnte, lag maßgeblich an Schmidt und dessen „bedächtigem Sendungsbewusstsein“. Er setzte auf ein praxisorientiertes Lernen, sprach von „Sprach-Sacherlernung“ und einem Prinzip der „Entphilologisierung“ des Sprachenlernens. Dabei profitierte Schmidt von seinen guten internationalen Kontakten:

Korrespondenten aus den Hauptstädten der Welt schicken ihm die neuesten Tonbänder von den Pressekonferenzen und Reden der Staatsmänner. Noch vor den Presseberichten sind die Texte abgezogen und liegen den Schülern vor. Die Aktualität zahlt sich aus: Das Interesse der damit Konfrontierten ist frisch, der Lehrstoff findet Interesse.

Dr. Paul Schmidt
Dr. Paul Schmidt am 28.03.1941 als Dolmetscher bei einem Besuch des japanischen Außenministers Matsuoka Yosuke. – Bild: Bundesarchiv

War Schmidt ein Nazi? Von Spruchkammer entlastet

Es gibt Dutzende von Fotos, die Schmidt als Dolmetscher Hitlers zeigen. Aus den zehn Jahren davor, als Schmidt für demokratische Reichsregierungen und unter anderem für den deutschen Außenminister und Friedensnobelpreisträger Gustav Stresemann dolmetschte, sind uns hingegen nur zwei Aufnahmen bekannt.

Durch dieses Ungleichgewicht der historischen Bilddokumente könnte der Eindruck entstehen, Schmidt sei mit den Nationalsozialisten ins Amt gekommen und verdanke diesen seinen beruflichen Aufstieg. Dies ist jedoch nicht der Fall. Chefdolmetscher im Auswärtigen Amt wurde er bereits ein Jahr nach seinem Eintritt ins Ministerium, nämlich 1924 unter Stresemann, der 1923 einige Monate Kanzler und dann bis 1929 Außenminister war.

Andererseits scheint Schmidt von der großen Bühne mit weltgeschichtlicher Bedeutung, die er an der Seite Adolf Hitlers betrat, fasziniert gewesen zu sein. Dieser Rolle im Scheinwerferlicht der Weltpresse fühlte er sich intellektuell gewachsen und er fand in ihr seine berufliche Erfüllung. Ein Ausschnitt aus einer britischen Wochenschau zeigt Schmidt mit dem britischen Premierminister Neville Chamberlain 1938 bei einem Treffen zur Beilegung der Sudentenkrise:

Für viele Besprechungen auf höchster Ebene war er nach dem Krieg der einzige verbliebene Zeuge. Entsprechend gefragt waren seine Aussagen im Rahmen der Nürnberger Prozesse. Auf YouTube existiert ein kurzes Video, das ihn im Zeugenstand zeigt:

1945 verhaftet und drei Jahre interniert, 1950 entlastet

Schmidt wurde 1945 von den Amerikanern verhaftet und war bis 1948 interniert. 1950 wurde er im Rahmen der Entnazifizierung von der Spruchkammer Miesbach als „entlastet“ eingestuft. In den Dienst des Auswärtigen Amtes wurde er allerdings nicht wieder aufgenommen.

Neue Aufgabe als Direktor des SDI München (1952 – 1967)

Eine neue Aufgabe fand er als Direktor des SDI München. Er hat das Institut zwar nicht gegründet, aber in den 15 Jahren seiner Leitung (1952 – 1967) maßgeblich geprägt und mit einem hohen Anspruch versehen. Dieser Kurs wurde lange nach Schmidts Tod (1970) ab 2006 mit der Einrichtung einer Hochschule für Angewandte Sprachen am privatrechtlich organisierten SDI gekrönt. Die früher in München als „Schmidt-Schule“ bekannte Einrichtung konkurriert somit heute in der Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern mit staatlichen Fachhochschulen.

Allerdings scheint das SDI München wegen der Rolle Schmidts als Hitlers Dolmetscher zunehmend auf Distanz zu seinem langjährigen Leiter zu gehen. Zwar existiert auf der SDI-Website eine Seite mit biografischen Informationen über Schmidt, aber in den Festreden zur Eröffnung des neuen Campus im Jahr 2011 wurde er nur beiläufig erwähnt. Obwohl auch der heutigen SDI-Leitung klar sein dürfte, dass das Münchner Institut ohne das engagierte Wirken von Schmidt eine gewöhnliche Sprachenschule geblieben wäre, wie es sie in jeder größeren Stadt gibt.

Dass Paul Schmidt „entlastet“ und annähernd unbefleckt aus der Nazizeit hervorging, dürfte auch auf sein gewinnendes Wesen und die Wirkung seiner Persönlichkeit auf Mitmenschen zurückzuführen sein. Ähnlich wie Albert Speer, der nach dem Krieg lange als „guter Nazi“ galt, war Schmidt eine stattliche Erscheinung und machte auf Gesprächspartner stets nur den besten und einen integren Eindruck.

Bei einem derart höflichen, gebildeten und sachkompetenten Menschen, der sich ruhig und gewählt auszudrücken und druckreif zu sprechen vermochte, konnte sich niemand vorstellen, dass dieser sich etwas hatte zuschulden kommen lassen.

Nicht ganz ins Bild passen da Schmidts sehr später (1942), aber offensichtlich bewusst erfolgter Eintritt in die NSDAP sowie die von ihm seit 1937 gelegentlich getragene Uniform eines SS-Standartenführers. Schmidt selbst erklärte dazu in Nürnberg in einem Fragebogen zu seinem Lebenslauf, er sei „lediglich Uniformträger“, aber nicht SS-Mitglied gewesen: „Uniformbefehl Hitlers 1937, unter ausdrücklicher Betonung Nichtmitgliedschaft SS (Belege bei den Akten).“

Richard Schneider