L@s niñ@s: Streit in Spanien wegen sexistischer Sprache

Spaniens Spracherneuerer fordern ein weniger sexistisches Spanisch. Sie möchten die sprachliche Diskriminierung des weiblichen Geschlechts bekämpfen. Schließlich werde das weibliche Geschlecht in der Pluralbildung nicht berücksichtigt. Die Traditionalisten, darunter vor allem Spaniens Königliche Sprachakademie (Real Academia Española, RAE), sind hingegen der Ansicht, dass darunter die spanische Grammatik und Syntax leide.

Die Sprachkritiker

Der Streit wird öffentlich in den Zeitungen des Landes ausgetragen. So publizierte Spaniens größte Tageszeitung El País am 4. März 2012 ein Dokument, das sich mit Vorschlägen von Universitäten, Verwaltungen und Gewerkschaften auseinandersetzt. Darin empfehlen der Autor Ignacio Bosque und die 26 Unterzeichnenden, einen nicht sexistischen Sprachgebrauch zu fördern. Konkret geht es um die Regel, nach der für die Mehrzahl, wenn sie sich auf eine gemischte Gruppe bezieht, immer die männliche Form der Oberbegriff ist. Aus niña (Mädchen) und niño (Junge) werden so niños (Kinder) – aber auch Jungs. Die Kritiker schlagen vor, wenn möglich, neutrale Oberbegriffe zu verwenden. Aus los becarios (Stipendiatinnen und Stipendiaten) werden so las personas becarias (Personen mit Stipendium). Bei dem Satz Todos tenemos sentimientos (Wir alle haben Gefühle) wird für alle die männliche Form (todos) verwendet. Zu Bevorzugen ist stattdessen das Wort personas (Las personas tenemos sentimientos). Empfohlen wird zudem der Satz La población española irá a las urnas el próximo domingo (Die spanische Bevölkerung geht nächsten Sonntag an die Urne) anstatt Los españoles irán a las urnas el próximo domingo (Die Spanier gehen nächsten Sonntag an die Urne). Dies sind nur einige der vielen Beispiele aus dem Dokument, das, wie bereits erwähnt, in El País veröffentlicht wurde und hier in spanischer Sprache abrufbar ist.

Die Wächter über das Spanische

Die Sprachschützer und Akademiemitglieder werfen dem Autor und den Unterzeichnenden des Dokuments jedoch vor, dass kein Anlass bestehe, den Umgang mit dem Plural zu ändern, weil die männliche Mehrzahl beide Geschlechter beinhalte. Die Forderung, dass amtliche Texte und Reden stets beide Geschlechter nennen müssen, führe dazu, „dass sich die offizielle Sprache noch weiter von der reellen Sprache entfernt“. Da sich die Wissenschaft und somit die RAE um ordentliches, grammatisch korrektes Spanisch zu kümmern habe, wird jeglicher Widerspruch nicht geduldet. So heißt es: „Die meisten dieser Sprachführer wurden ohne Beteiligung von Sprachwissenschaftlern geschrieben.“

Die Befürworter der Sprachkritik

Die größte spanische Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO), die eins der kritisierten Dokumente verlegt hat, weist darauf hin, dass der weit verbreitete Gebrauch der männlichen Form als Oberbegriff für beide Geschlechter insbesondere darauf zurückzuführen ist, dass sich viele Institutionen und die Akademie weigern, eine andere Form zu nutzen. „Die Grammatik ist nicht das Leben“, befürwortet eine Philosophieprofessorin einer spanischen Fernuniversität die nicht sexistischen Sprachführer.

Die katalanische Tageszeitung La Vanguardia unterstellt der Königlichen Sprachakademie, viel sexistischer zu sein als die Menschen auf der Straße, und rät einen Blick ins Wörterbuch der Sprachakademie. Es beinhalte unzählige fragwürdige Definitionen: Gozar: Conocer carnalmente a una mujer (Genießen: eine Frau körperlich kennenlernen), stehe dort geschrieben.

Las niñas y los niños = L@s niñ@s?

Die Vorsitzende der Gleichberechtigungskommission der Justizverwaltung erzählt eine schöne Geschichte, die zeigt, wie wichtig die Sichtbarkeit der Frau in der Sprache ist: „Eine Vertretung kam in den Unterricht und schlug vor: ‚Auf, niños, wir singen!‘ Kein einziges Mädchen sang mit, denn ihre Klassenlehrerin redet immer von niñas y niños.“

In dem Anfang März veröffentlichten Dokument heißt es, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, ob die Verwendung von @ das Problem der sprachlichen Diskriminierung des weiblichen Geschlechts, der künstlichen Formen oder der langen Sätze aufgrund der Nennung sowohl des weiblichen als auch des männlichen Wortes lösen könnte, auch wenn sie von der RAE oder anderen Stil-Handbüchern abgelehnt wird. So vereint l@s niñ@s sowohl Mädchen als auch Jungen.

Schlussbemerkung

Zum Teil handelt es sich um künstliche Formen, die in dem Dokument vorgeschlagen wurden, und die die Kommunikation erschweren würden. Zum Teil würde auch die Sprachökonomie bedroht, wenn man immer den femininen und maskulinen Begriff nennen würde. Doch es ist zu beachten, dass die Frauen in der Geschichte oftmals unsichtbar gemacht und in den Hintergrund gedrängt wurden, was ebenfalls in der Sprache seinen Ausdruck fand. Darüber hinaus ist noch zu sagen, dass fast ausschließlich Männer Mitglieder der Königlichen Sprachakademie waren. Während drei Jahrhunderten hatte die RAE lediglich sieben weibliche Mitglieder. Unter den aktuell 46 Mitgliedern sind nur fünf Frauen. Dies könnte die Einstellung der RAE-Mitglieder gegenüber der Sprache und dem weiblichen Geschlecht erklären.

Das Hauptziel der Vertreter des Berichts ist, die spanische Gesellschaft zur Reflexion zu bewegen. Sie sind sich nämlich dessen bewusst, dass es keinen Sinn hat, politische Regelungen durchzusetzen. Es ist wichtig, sich richtig auszudrücken, seine Ideen zu verteidigen und sich für seine Rechte einzusetzen. Doch dabei muss Gerechtigkeit herrschen – auch in der Sprache.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: elpais.com, 04./11.03.2012; taz.de, 10.03.2012; dradio.de, 10.03.2012. Bild: Archiv.]