Sprachauffälligkeiten bei Kindern steigen

Immer mehr Kinder in Deutschland zeigen Sprachauffälligkeiten. So leidet jeder vierte Junge im Alter von sechs Jahren an Sprachstörungen. Bei den Mädchen beläuft sich die Zahl auf 16 Prozent. Oftmals haben sogar Kinder unter drei Jahren einen so geringen Wortschatz, dass sie gerade einmal „Mama“ oder „Papa“ sagen können.

Doch worin liegen die Gründe für diese Entwicklung? Barbara Städtler, Sprachheilbeauftragte des Kreises Mettmann, ist der Ansicht, dies könne damit begründet werden, dass die Eltern heutzutage als Vorbild ausfallen. Kinder und Eltern sprechen immer weniger miteinander. Die Eltern kümmern sich nicht mehr so sehr um ihren Nachwuchs wie früher. Auch der Blickkontakt sei nicht mehr so intensiv. Die Familien essen selten gemeinsam zu Mittag, oftmals sei der Fernseher an oder die Kinder werden in ihre Zimmer zum Spielen geschickt. Darin stimmt auch Kirsten Hahn, Logopädin aus Bad Wildungen und Vorstandsmitglied im Deutschen Bundesverband für Logopädie, überein: Sie sieht nämlich „ein gesellschaftliches Problem, dass immer mehr Kinder immer weniger spielen, immer weniger Qualitätszeit mit den Kindern verbracht wird“.

Dadurch, dass die Kleinkinder wenig Kontakt zu ihren Eltern haben, können sie sich auch sprachlich nicht weiterentwickeln, was schließlich zu Sprach-, Sprech- und Redefluss-Störungen führt. Die Redefluss-Störungen äußern sich in Stottern und Sprachstörungen im falschen Satzbau oder beschränkten Wortschatz sowie in Problemen beim Sprachverständnis. Zu den Sprechstörungen zählen beispielsweise das Vertauschen von Buchstaben (typisch ist dafür „k“ statt „t“), Lispeln oder ein fehlendes „sch“.

Woran erkennt man nun eine Sprachauffälligkeit? Bei Babys sind sie nur schwer festzustellen. Es sei denn, das Kind „hat gebrabbelt und gelallt und verstummt ganz plötzlich, dann ist das auch ein Anzeichen für eine schwere Hörstörung“, so die Logopädin Kirsten Hahn. Allerdings erkennt man bei Kleinkindern durchaus Sprachauffälligkeiten an den gerade erwähnten Symptomen ohne ein Experte zu sein. Ein zweijähriges Kind sollte etwa 50 Wörter sprechen. „Wenn es das nicht tut, ist das schon auffällig“, erklärt Hahn.

Pilotprojekt Sprach-Screening im Saarland

Angesichts dieser Entwicklungen startet bald im Saarland ein Pilotprojekt, das belastbare Daten über die Sprachentwicklung von Kindern liefern könnte. Als erstes Bundesland Deutschlands führt das Saarland im Frühjahr/Sommer 2012 ein Sprach-Screening für Dreijährige ein. Etwa 7000 Kinder von über 70 Kinder- sowie Hausärzten werden hinsichtlich ihrer Sprach- und Artikulationsfähigkeit untersucht. „Das Screening ist ein hervorragendes Instrument zur Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen“, so die saarländische Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) auf der Auftaktveranstaltung im Uniklinikum Homburg. Im Falle von Sprachauffälligkeiten könnten rechtzeitig Sprachförderungstherapien in die Wege geleitet werden. Prof. Ludwig Gortner, Leiter des Zentrums für Kindervorsorge am Homburger Uniklinikum, hofft mit der Untersuchung bei mehr Kindern frühzeitig Hörschäden zu erkennen.

Doch wie sieht das Sprach-Screening aus? Im ersten Teil müssen die Eltern einen Fragebogen mit 82 Fragen zum Vokabular und 15 Fragen zu den Grammatikkenntnissen ihrer Kinder ausfüllen. Insgesamt dauert der Test 20 Minuten. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse der Sprach-Screenings im Uniklinikum Homburg ausgewertet. Der Arzt stellt fest, ob eine pathologische Artikulations- oder Sprachentwicklungsstörung vorliegt und ob ihm eine logopädische Therapie oder eine Förderung zu Hause notwendig erscheint. Dies wird mit 21 Euro vergütet.

Die Einladungen zu dem Sprach-Screening werden wahrscheinlich ab April 2012 an die Eltern der Dreijährigen im Saarland verschickt. Für die Familien ist die Teilnahme an dem Projekt freiwillig und kostenlos. Ab Juni 2012 finden wahrscheinlich die ersten Untersuchungen in den Praxen statt. Das Projekt wird vom Bundesfamilienministerium bis zum Jahre 2014 mit 340.000 Euro gefördert. „Belastbare Daten über Sprachstörungen der Kinder in Deutschland fehlen bislang“, sagt Josef Hecken (CDU), Staatssekretär im Bundesfamilienministerium.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: derwesten.de, 03.02.2012, hr-online.de, 06.03.2012; aerztezeitung.de, 14.03.2012.]

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