Bram Stokers „Dracula“ neu übersetzt

Vor 100 Jahren ist der irische Schriftsteller Bram Stoker gestorben. Stoker wurde hauptsächlich durch seinen Roman Dracula weltweit bekannt. Der Ire war bis zu seinem siebten Lebensjahr krank und konnte alleine weder stehen noch gehen. Diese traumatische Erfahrung aus seiner Kindheit spiegelt sich in seinen Werken wider. Ewiger Schlaf und die Wiederauferstehung der Toten waren von großer Bedeutung für ihn – so auch in seinem Buch Dracula.

Im Jahre 1890 traf Stoker den ungarischen Professor Arminius Vámbéry, der ihm von der Legende des rumänischen Fürsten Vlad III. Drăculea berichtete. Letzter war ein Fürst, der im 15. Jahrhundert lebte und sich durch seine besondere Ruchlosigkeit und Brutalität einen Namen machte. Von dieser Geschichte inspiriert schuf der Stoker die Figur des Vampirs Dracula. Sieben Jahre lang schrieb Stoker den Vampirroman, bis er ihn am 18. Mai 1897 veröffentlichte. Dracula ist ein moderner Mythos geworden, die Figur ist berühmter als der Autor.

Zum 100. Todestag des Dracula-Schöpfera Bram Stoker hat Andreas Nohl den Weltklassiker neu übersetzt. Vor zwei Jahren hat der 57-Jährige für eine Neuübersetzung von Mark Twains Tom Sawyers Abenteuer und Huckleberry Finns Abenteuer viele positive Kritiken geerntet. „Selbst Fans, die alle Filme kennen, wird das Buch überraschen“, sagte Nohl in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Er äußert sich wie folgt zu Bram Stoker und dem Roman Dracula:

Vom Stilistischen her kann ich aber sagen, dass das Buch teilweise nicht gut geschrieben ist. Nun habe ich als Übersetzer, der selber Schriftsteller ist, Möglichkeiten, diesen Text an diversen Stellschrauben zu verbessern. Stoker war ja ein Theatermann. Viele Szenen sind wie Theatertableaus gebaut. Handlungen lesen sich häufig wie Regieanweisungen. Das kann man erzählerisch flüssiger gestalten. Entscheidend ist auch, dass bei Stoker ganz verschiedene Figuren sprechen, deren Stimmen sich bei ihm teilweise aber nicht unterscheiden. Sie haben jedoch sehr verschiedene Charaktere. Nun kann man sich überlegen, wie man diesen Figuren eine Sprache zuordnet, die sich normal am Originaltext orientiert – da wird nicht am Text vorbei übersetzt –, ihnen aber durch stilistische Akzentuierungen eine eigene Stimme gibt. Damit wirkt der Roman lebendiger als im Original.

Das gesamte Interview mit dem Übersetzer Andreas Nohl können Sie auf der Website der Augsburger Allgemeinen lesen.

Neben der Übersetzung im Steidl Verlag ist auch im Philipp Reclam jun. Verlag eine 550-seitige Neuübersetzung von Ulrich Bossier erschienen.

Werner von Koppenfels schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Folgendes zu den beiden Übersetzungen:

Frischblut für die Dracula-Gemeinde ist […] die Neuübertragung von Andreas Nohl im Steidl-Verlag, philologisch genau und doch sprachkräftig, bestens eingeführt und kommentiert, auch äusserlich ein schönes Buch. Die oft unlösbaren dialektalen Probleme sind elegant gemeistert, etwa, wenn ein Yorkshire-Seebär schönstes Platt spricht und nicht mehr, wie früher, berlinert. Dracula wahrt seine sprachliche Distanz, und Van Helsing hat der Übersetzer wohldosierte idiomatische Verstösse untergeschoben, statt ihn permanent radebrechen zu lassen. Hier ist die Übersetzung deutlich besser als das Original.

Die neue Version von Ulrich Bossier aus dem Reclam-Verlag, im „Ton ganz von heute“ (Verlagswerbung), liest sich frisch und flüssig, ohne plumpe Anbiederung an den Zeitgeist. Sie mischt den Satzbau auf, wenn er zu kompliziert wird, setzt gern kräftigere Stilfarben als das Original, lässt aber dafür Dracula und den Professor unterschiedslos korrekt sprechen. Ein reichhaltiges Nachwort von Elmar Schenkel verortet den Roman in Geschichte und Gegenwart. Bram Stokers Untoter ist, qua Übersetzung, quicklebendig.

Auch diesen Artikel mit dem Titel „Gesicht der Ängste und Begierden. Vor hundert Jahren starb Bram Stoker, aber Dracula ist nicht umzubringen“ können Sie in voller Länge online abrufen – auf der Website der NZZ.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: nzz.ch, 20.04.2012; augsburger-allgemeine.de, 19.04.2012; kleinezeitung.at, 16.04.2012. Bild: Bram Stoker, Lizenz: PD.]