Eichmann-Dolmetscherin Ruth Levy-Berlowitz: „Ich habe ihm ins Ohr geflüstert“

Urteil Adolf Eichmann

Ruth Levy-Berlowitz war Dolmetscherin in einem Prozess, der weltweit für Aufsehen sorgte: das Verfahren gegen Adolf Eichmann, den Leiter des „Judenreferats“ IV B 4  im Reichssicherheitshauptamt der SS. Sie dolmetschte simultan und übersetzte auch das Urteil ins Deutsche. Am 15. Dezember 1961 las sie dem Angeklagten das vom Gericht gefällte Todesurteil vor. In der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 1962 − vor 50 Jahren – wurde es vollstreckt.

Die heute 87-jährige Levy-Berlowitz hat am 25. Mai 2012 ihr hebräisches und deutsches Exemplar des Urteils (Bild oben) an die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland übergeben. Von den anwesenden Pressevertretern wird sie als „sehr rüstig und schlagfertig“ beschrieben. Das Museum in Bonn will die beiden Fassungen des Urteils in der Reihe „Das aktuelle Objekt“ zunächst im Informationszentrum des Hauses ausstellen.

Von Sachsen nach Israel, nach England, in die Schweiz und wieder nach Israel

Ruth Levy-Berlowitz wird 1925 in Dresden geboren und wächst auch dort auf. 1936 emigriert die jüdischen Familie nach Palästina. Zwei Tanten, die in Deutschland bleiben, kommen später im Konzentrationslager Majdanek ums Leben. Das 11-jährige Mädchen besucht in Haifa eine englische Schule und nimmt 1947 mit 22 Jahren ein Studium in England auf. Später verbringt sie einige Monate in Paris, um ihr Französisch zu verbessern. Sie geht für ein Jahr nach Italien und arbeitet in der diplomatischen Vertretung Israels.

Der Traum vom Dolmetschen erfüllt sich schließlich mit einem Studium an der Fakultät für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Genf (früher ETI, heute FTI), das sie 1952 mit einem Diplom und den Arbeitssprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch abschließt. Von 1952 bis 1956 ist sie Presseübersetzerin und -analystin bei der US-Botschaft in Israel.

Dolmetscherin im Eichmann-Prozess

„Ende 1960 war ich bei einer internationalen Tagung in Tel Aviv als Dolmetscherin tätig“, so Levy-Berlowitz auf der Veranstaltung zur Übergabe der Dokumente an das Haus der Geschichte. „Nachher erfuhren wir, dass Polizisten in Zivil ’sich herumdrückten‘, um geeignete Dolmetscher für den [Eichmann-]Prozess zu finden. Als man an mich herantrat, die Simultanübersetzung vom Hebräischen ins Deutsche zu übernehmen, erbat ich mir erst mal Bedenkzeit.“ Ihr Mann und ihre Eltern rieten ab. Freunde warnten sie, sie werde bei diesem Prozess gegen einen der Schreibtischtäter der Judenverfolgung Dinge hören, die sie nicht verkraften könne.

Sie lässt sich Akten und Berichte über den Angeklagten kommen und zieht sich für einige Tage in ein Hotel in Herzlia zurück. „Eine Woche habe ich mit Eichmann gelebt, gegessen, geatmet.“ Dann entschließt sich die damals 35-jährige Dolmetscherin, trotz aller Bedenken die Herausforderung anzunehmen. „Vielleicht war ein bisschen Abenteuerlust dabei“, so Levy-Berlowitz heute, aber sie habe sich der Aufgabe gewachsen gefühlt. „Ich war eine professionelle Dolmetscherin“, so die Absolventin der elitären Dolmetscherschule der Universität Genf selbstbewusst.

Levy-Berlowitz‘ Aufgaben während des Verfahrens:

  • April/Mai 1961: Simultandolmetschen ins Deutsche (für den Angeklagten, die Verteidigung, deutsche Journalisten und Prozessbeobachter)
  • Übersetzen des Urteils aus dem Hebräischen ins Deutsche
  • Dezember 1961: Simultandolmetschen ins Deutsche bei der Verlesung des Urteils
  • Simultandolmetschen ins Deutsche in den folgenden Verhandlungen vor dem Berufungsgericht bis zur Bestätigung des Todesurteils am 29. Mai 1962

Die Dolmetscher arbeiteten 8 Stunden pro Tag und wechselten sich alle 20 Minuten ab. Im Jerusalemer Gerichtssaal war die Dolmetschkabine weit von dem Glaskasten entfernt, in dem Eichmann saß. Deshalb sieht man Levy-Berlowitz und die anderen Dolmetscher nicht auf den bekannten Fotos und Filmaufnahmen des Prozesses.

Von dem Grauen, das Gegenstand des Prozesses war, habe sie bei ihrer Arbeit nicht viel mitbekommen, erklärt Levy-Berlowitz auf der Veranstaltung zur Übergabe der Urteilsausfertigungen im Bonner Haus der Geschichte. Sie habe jedenfalls keine Albträume gehabt. „Beim Dolmetschen wird sehr starke Konzentration gebraucht. Man kriegt kaum mit, um was es eigentlich geht.“ Jeden Nachmittag nach der Arbeit habe „das normale Leben begonnen“. Erst nach dem Prozess habe sie sich geschworen, dass sie nichts mehr mit der Nazizeit zu tun haben wolle.

Der Arbeit als Gerichtsdolmetscherin folgten erfolgreiche Jahrzehnte als Konferenzdolmetscherin. Noch heute – mit 87 – besitzt Ruth Levy-Berlowitz eine Profilseite auf der Website des internationalen Konferenzdolmetscherverbands AIIC.1987, 25 Jahre nach dem Eichmann-Prozess, wurde sie übrigens doch noch einmal mit dem Thema konfrontiert, das sie ab 1962 eigentlich meiden wollte: Sie wirkte als Dolmetscherin im ersten Prozess gegen John Demjanjuk in Israel mit.

[Text: Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilung Haus der Geschichte, 2012-05-22; Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 2012-05-25; Kölnische Rundschau, 2012-05-26. Bild: Haus der Geschichte / Axel Thünker.]