
Die Kommunikation von Ärzten und Krankenhauspersonal mit nicht oder nur unzureichend Deutsch sprechenden Patienten ist schwierig und kann bei einem Übersetzungsfehler zu lebensgefährlichen Missverständnissen führen.
In Hamburg wurde ein 76-jähriger Patient deutsch-russischer Herkunft zu einem Notfall, weil er eine Anweisung zur Medikamenteneinnahme falsch verstanden hatte. Das Hamburger Ärzteblatt berichtet in der aktuellen Ausgabe 06/07 2012:
Die […] Anamnese [Ermittlung der Vorgeschichte der Krankheit] gestaltete sich aufgrund der geringen Deutschkenntnisse des Patienten deutlich erschwert. […] Im Herzzentrum der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf wurde die Indikation zur Schrittmacherversorgung gestellt.
Die Ehefrau des Patienten sprach ausreichend deutsch, wodurch die weitere Kommunikation mit dem Patienten erleichtert wurde. Nach komplikationsloser Implantation eines [Herz-]Schrittmachers kam es am dritten postoperativen Tag zu einer frischen peranalen Blutung [blutiger Ausfluss aus dem Darm].
Die notfallmäßig durchgeführte Koloskopie [Darmspiegelung] zeigte mehrere Polypen […], die allerdings nicht für die Blutung verantwortlich gemacht werden konnten. Als Blutungsquelle konnte eine sich noch in der Blisterverpackung befindliche Tablette […] ausgemacht werden. Diese war dem Patienten vom Pflegepersonal in dieser Form im Tagesdispenser bereitgestellt worden […].
Die Zeitschrift zeigt ein Foto der Einzeltablette, die aus der Sichtverpackung herausgeschnitten worden war. Deren scharfe Kanten und spitze Ecken hatten sich in der weichen Darmwand verkeilt.
Tablette in Blisterverpackung bedeutet: nüchtern einnehmen
Aber warum wurde dem Patienten die Tablette überhaupt in der Verpackung und nicht lose übergeben? Das Ärzteblatt erklärt:
Im Krankenhaus erhalten Patienten oftmals Medikamente, die anders aussehen als diejenigen, die sie ambulant bekommen. Um das […] Präparat für den Patienten zur Nüchterneinnahme kenntlich zu machen, bricht das Pflegepersonal das Medikament nicht aus dem Blister. Stattdessen wird dieser anteilsweise zerschnitten und den Patienten im Tagesdispenser bereitgestellt.
Resolute Ehefrau
„Die wiederholten Aufforderungen und die resolute Übersetzung der Ehefrau überzeugten den Patienten derart, dass er die Tabletten bedingungslos wie verordnet einnahm“, heißt es weiter. Er tat dies mitsamt der scharfkantigen Kunststoffverpackung.
Immerhin gestaltete sich deren Entfernung laut Ärzteblatt problemlos:
Der scharfkantige Blister konnte komplikationslos geborgen werden, eine Blutstillung war nicht notwendig.
Wer war nun schuld? Die Ehefrau? Der Mann selbst? Klar ist nur: Mit Dolmetscher wäre das wahrscheinlich nicht passiert.
Glück im Unglück
Der Patient hatte übrigens Glück im Unglück: Bei der Darmspiegelung wurde eine auffällige Geschwulst entdeckt – bösartiger Darmkrebs in einem sehr frühen Stadium. Da die Geschwulst erst begrenzt gewachsen war und noch nicht gestreut hatte, entschieden sich die Ärzte dafür, den befallenen Darmabschnitt zu entfernen. Der Patient sei dadurch heute tumorfrei.
Ecken der Blisterverpackung werden jetzt abgerundet
Übrigens: „Das Pflegepersonal verteilt die Thyroxin-Tabletten weiterhin im Blister, achtet aber nun darauf, die Ecken abzurunden“, so das Ärzteblatt abschließend.
Richard Schneider