Der BDÜ zum internationalen Übersetzertag:
Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Übersetzer im stillen Kämmerlein und umgeben von dicken Wörterbüchern arbeiten. Am 30. September ist Internationaler Übersetzertag, und der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e.V. (BDÜ) nimmt das Datum zum Anlass, um mit falschen Vorstellungen von diesem Beruf aufzuräumen und die Arbeitsrealität von Dolmetschern und Übersetzern im Zeitalter der Globalisierung transparenter zu machen. Dank Internet arbeiten Übersetzer heutzutage mit Kunden und Kollegen weltweit vernetzt. Der Computer ist ihr Arbeitsgerät, und viele Wörterbücher gibt es mittlerweile online. Generalisten unter den Übersetzern sind selten geworden, denn sie haben es schwer, sich in einem stark umkämpften Markt zu behaupten. Übersetzer sind zunehmend auf bestimmte Fachgebiete spezialisiert wie zum Beispiel Medizin, Recht, Technik, Wirtschaft oder auch Literatur.
Um den Trend zur Spezialisierung geht es auch auf dem vom BDÜ veranstalteten 2. internationalen Fachkongress Übersetzen in die Zukunft, der an diesem Wochenendein Berlin stattfindet. Mit 1.300 Teilnehmern aus 30 Ländern ist dies die größte Veranstaltung der Branche in Europa. Das Motto lautet in diesem Jahr: Dolmetscher und Übersetzer: Experten für internationale Fachkommunikation. Im Fokus stehen Veranstaltungen rund um das Thema Spezialisierung. BDÜ-Präsident André Lindemann: Die Themen werden immer komplexer. Dolmetscher und Übersetzer brauchen nicht nur sehr gute Fremdsprachenkenntnisse, sondern auch translatorische Techniken und fundierte Kenntnisse in ausgewählten Fachgebieten. Kurzum: Eine Fremdsprache gut zu sprechen, reicht schon lange nicht mehr aus.
Der Weltübersetzertag am 30. September geht zurück auf den Todestag des heiligen Hieronymus (Bild oben), dem Schutzpatron der Übersetzer. Er übersetzte unter anderem die Bibel ins Lateinische. Die als Vulgata bekannte Bibelübersetzung galt lange Zeit als maßgebliche Übersetzung der Bibel der katholischen Kirche. 1991 führte die internationale Übersetzerorganisation FIT (Fédération Internationale des Traducteurs) den Weltübersetzertag ein, um die Leistungen von Dolmetschern und Übersetzern ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. 38.000 Dolmetscher und Übersetzer gibt es laut Mikrozensus 2011 in Deutschland, 25.000 Frauen und 13.000 Männer. Mehr als die Hälfte von ihnen arbeitet selbstständig.
Der Literaturübersetzerverband VdÜ zum Übersetzertag:
Seit einigen Jahren begeht der VdÜ, aus dessen Reihen bereits vor Jahrzehnten der Hieronymusring zur Würdigung von Übersetzerleistungen gestiftet wurde, diesen weltweit und in vielen europäischen Ländern – Österreich, Litauen, Frankreich und Dänemark – eingeführten Tag auch in der deutschen Öffentlichkeit.
Die Weltliteratur, so der portugiesische Schriftsteller und Nobelpreisträger Saramago, wird von Übersetzern gemacht. Aber Übersetzer machen noch viel mehr: Auf ihrer Arbeit baut die gesamte abendländische Kultur auf. Das fängt mit den Bibelübersetzungen der Spätantike an und setzt sich im 9. Jahrhundert in Bagdad fort, wo die wissenschaftlichen Texte der griechischen Antike ins Arabische übersetzt wurden. Die sogenannte Übersetzerschule von Toledo übertrug dann im 12. Jahrhundert neben originalsprachig arabischen wissenschaftlichen und religiösen Texten auch diese Übersetzungen ins Lateinische, im 13. Jahrhundert auch ins Kastilische, was sich normierend auf die spanische Sprache auswirkte. Luthers Bibelübersetzung hat die deutsche Sprache wesentlich geprägt, die englische King James Bible hatte großen Einfluss auf Milton und andere bedeutende englische Dichter. Die Shakespeare-Übersetzungen von Schlegel und Tieck haben der deutschsprachigen Bühnenkunst und ihren größten Repräsentanten unverzichtbare Impulse gegeben, und die Gedanken der Aufklärung konnten sich erst durch Übersetzungen in der ganzen Welt verbreiten.
Mit anderen Worten: Wo immer gesprochen, geschrieben, gelesen, ja selbst gesungen wird, hatten und haben Übersetzer ihre Hand im Spiel, und ihnen verdanken wir es, dass die ganze Welt in der eigenen Sprache aufgehoben ist. Ihre Arbeit hat die Voraussetzung für die Entwicklung von Kultur und Wissenschaft, aber auch für die Entwicklung der Volkssprachen geschaffen und nicht zuletzt für die Möglichkeiten des vereinigten Europas und der heutigen globalisierten Welt.
Am internationalen Übersetzertag sollen zahlreiche Übersetzerveranstaltungen in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Bedeutung der Übersetzung in Vergangenheit und Gegenwart wecken und zeigen, wer hinter den Übersetzungen steht, mit denen jeder ständig konfrontiert ist von der schönen Literatur bis zum Fachbuch, vom Theater bis zu Film und Fernsehen, von Zeitungen und Zeitschriften bis zu Werbung und Gebrauchsanweisungen.
uepo.de zu Hieronymus:
Der große Gelehrte Sophronius Eusebius Hieronymus übersetzte zahlreiche Werke (u.a. die Bibel) aus dem Griechischen ins Lateinische. Lange Jahre lebte er als Einsiedler in der Wüste eine Arbeitssituation, die auch heutigen Übersetzern vertraut ist. Weitere Parallelen sind sein nichtlinearer Lebenslauf und das Hin- und Hergerissensein zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen.
Seine Sprachkenntnisse im Hebräischen, Griechischen und Lateinischen sowie sein Überblick über die Wissenschaften waren für seine Zeit außergewöhnlich. Im Urteil der Nachwelt war er ein vorzüglicher Übersetzer. Insgesamt beherrschte er sieben Sprachen.
Wesentliche Charakterzüge sollen eine zügellose Energie und ein nahezu fanatischer Einsatz für die wahre Kirche gewesen sein, was ihm allerlei Ärger mit korrupten, verweltlichten Würdenträgern einbrachte.
Geboren wurde er 342 oder 347 in Stridon, an der Grenze der römischen Provinzen Dalmatien und Pannonien (heute Sdrin, Kroatien). Gestorben ist er 419 oder 420 in Bethlehem. Wer ihm dort Blumen aufs Grab legen möchte, wird ihn nicht mehr antreffen, denn im 13. Jahrhundert wurden seine Gebeine nach Rom überführt.
[Text: BDÜ. Quelle: Pressemitteilung BDÜ, 2012-09-20; Pressemitteilung VdÜ, 2012-09-13. Bild: Michelangelo Merisi da Caravaggio (Ausschnitt, um 1606).]