Kampf der Sprachen: Europäische Union vor Zerreißprobe?

Kampf der SprachenIn der Europäischen Union werden insgesamt 23 Sprachen als Amtsprachen anerkannt. Der personelle Aufwand für die Übersetzungen ist immens. Darüber hinaus werden in der EU 60 bis 90 Regional- bzw. Minderheitensprachen gesprochen. Die EU hat diese Vielfalt immer als Vorzug gepriesen. Jeder EU-Bürger wird zudem dazu animiert, mindestens eine Fremdsprache zu erlernen. Doch eine Gemeinschaft zu organisieren, fällt unter diesen Bedingungen äußerst schwer.

Anlässlich des Europäischen Tages der Sprachen am 26. September befragte der Deutschlandfunk den Sprachwissenschaftler Peter Josef Weber, seit 1. Oktober 2012 als Rektor an der SRH Hochschule für Wirtschaft und Medien in Calw tätig, zur sprachlichen Zerreißprobe der Europäischen Union.

Weber, Autor des Buches Kampf der Sprachen, ist der Ansicht, dass neben den Amtssprachen die Regional- und Minderheitensprachen eine größere Bedeutung gewinnen. Damit einher gehe sicherlich auch ein wachsendes Identitätsgefühl. Als Beispiel seien da die Katalanen, Schotten oder Waliser anzubringen, die für ihre Unabhängigkeit kämpfen, was letztlich eine größere Sprachenvielfalt bedeute.

Rund ein Siebtel des Haushaltes der Europäischen Kommission werde für Übersetzungen aufgewendet, sagt Weber. Nun stellt sich die Frage, ob es nicht ratsam wäre, wenn sich die EU auf eine Sprache, beispielsweise auf das Englische, konzentrieren würde und so auch Kosten einsparen könnte.

Der Linguist Weber erklärte in dem Interview, dass eine einzige Sprache nicht zu einer starken Vereinfachung führen würde. „Wir haben bisher sehr gute Erfahrungen mit der Sprachenvielfalt in der EU gemacht.“ Man müsse dies funktionaler sehen, denn jeder kommt aus seinem Sprachsystem und letztlich käme es zu unzähligen Missverständnissen, wenn alle nur noch auf Englisch kommunizieren würden.

In den europäischen Institutionen sollte also nicht nur eine Sprache gesprochen werden. Eine Möglichkeit bestehe allerdings darin, sich auf drei Amtssprachen, das heißt also beispielsweise auf die drei größten Sprachen in der EU (Englisch, Französisch, Deutsch), zu beschränken. Durch die Begrenzung könne man auf „zu hohe Übersetzungs- und Dolmetschkosten“ reagieren.

Das vollständige Rundfunkinterview können Sie sich auf der Website dradio.de anhören.

Webers Buch: Kampf der Sprachen: Die Europäische Union vor der sprachlichen Zerreißprobe

Wie soll sich eine Gemeinschaft der Europäischen Union sprachlich organisieren, wenn sie die Kommunikation in 23 offiziellen Amtssprachen und ca. 80 Regional- oder Minderheitensprachen regeln muss? Die lange von der EU propagierte These der Einheit in der Vielfalt ist kaum mehr tragbar, denn sie verkommt zu einer Willkür, wenn einerseits immer mehr Regionalsprachen in offizielle Domänen einrücken und z.B. die Übersetzungskosten exorbitant in die Höhe treiben, und andererseits sich in den EU-Organen eine Einsprachigkeit in Englisch durchsetzt – auf Kosten der anderen großen EU-Sprachen. Das Buch gibt einen Einblick in dieses Spannungsfeld zwischen vielen und einer Sprache. Der Autor vertritt dabei die These, dass sich die EU vor dem (sprachlichen) Kollaps befindet – und er macht deutlich, wie die Sprachenfrage an handfeste sozioökonomische Fragen gebunden ist.

Über den Autor

Prof. Dr. Peter J. Weber war zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung Professor für Internationale Wirtschaftskommunikation an der Hochschule für Angewandte Sprachen, München. Forschungs- und Lehrgebiete: Internationale Wirtschaftskommunikation, Sprachen- und Bildungsökonomie.

Peter J. Weber (2009): Kampf der Sprachen: Die Europäische Union vor der sprachlichen Zerreißprobe. Hamburg: Krämer. 122 Seiten, 19,90 Euro, ISBN-13: 978-3896220943.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: dradio.de, 26.09.2012; Krämer Verlag. Bild: Krämer Verlag.]

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