RfD will „Winkeldolmetschern“ und „ausbeuterischen Vermittlungsbüros“ den Garaus machen

Dass sich an manchen als Missstand empfundenen Gegebenheiten in der Berufspraxis der Dolmetscher und Übersetzer in den letzten 80 Jahren kaum etwas geändert hat, zeigt ein Rundschreiben aus dem Jahr 1936.

Darin weist Dr. Walter Raeke, Reichsinspekteur des Bundes National-Sozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ), auf die Anliegen der Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen (RfD) hin. Diese fordert den Schutz der Berufsbezeichnung und kritisiert unqualifizierte „Winkeldolmetscher und Vermittlungsbüros, die oft nicht selbst übersetzen, sondern die geistige Arbeit des Dolmetschers ausbeuten“ und sich „mit hochtönender Reklame breit machen“.

Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen, Rundschreiben 2/1936
Bild: UEPO.de
Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen, Rundschreiben 2/1936
Bild: UEPO.de

Das oben abgebildete Rundschreiben wurde im Mitteilungsblatt des Bundes National-Sozialistischer Deutscher Juristen veröffentlicht, das in einer Auflage von 85.500 erschien. Der BNSDJ wurde 1928 als Organisation innerhalb der NSDAP gegründet und 1936 in Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund (NSRB) umbenannt.

Unter der Überschrift „Ernennungen im BNSDJ“ ist dem Heft darüber hinaus zu entnehmen, dass im Gau Breslau der Justizinspektor Hugo Roesler zum „Gaufachschaftsleiter für das Dolmetscherwesen“ ernannt wurde.

Umfassende und einheitliche Regelung des Dolmetscherwesens

Zwischen 1933 und 1945 gab es mehrere Versuche, die Ausbildung und Berufspraxis der Übersetzer und Dolmetscher umfassend und für das ganze Deutsche Reich einheitlich zu regeln.

Ein nie verabschiedeter Gesetzentwurf des Reichsministeriums des Innern vom 17.06.1939 sah sogar ein generelles Verbot der gewerblichen Vermittlung von Dolmetsch- und Übersetzungsaufträgen vor. „Das unberechtigte Tragen der geschützten Berufsbezeichnung sowie Verstöße gegen die Schweigepflicht oder das Verbot der gewerblichen Vermittlung sollten mit Geldstrafen geahndet werden können“, schreibt die Konferenzdolmetscherin Miriam Winter in ihrem soeben erschienenen Buch Das Dolmetscherwesen im Dritten Reich.

Die RfD – ein Berufsverband mit 12.000 Mitgliedern

Zur Entstehungsgeschichte der RfD schreibt Winter:

Die Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen (RfD) ging 1933 im Zuge der Gleichschaltung aus den bereits in der Weimarer Republik bestehenden Verbänden der Gerichtsdolmetscher hervor und wurde in den der NSDAP angeschlossenen Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund der Deutschen Rechtsfront eingegliedert, in dem alle Berufsgruppen organisiert waren, die sich mit der Rechtspflege beschäftigten. Anders als der Name vermuten lassen würde, war sie nicht allein für Dolmetscher, sondern auch für Übersetzer zuständig. […] Der Reichsfachschaftsleiter, Otto Monien, […] verfügte […] über gute Kontakte in das Propagandaministerium und trug maßgeblich dazu bei, dass die RfD zum Januar 1944 als Reichsarbeitsgemeinschaft für das Dolmetscherwesen e. V. in diese Behörde eingegliedert wurde.

Die gleichgeschaltete RfD gewann bis 1945 innerhalb der Branche zunehmend an Einfluss. Die RfD betrieb eine „Reichsfachschule für das Dolmetscherwesen“, gab Lehrmaterialien und Fachwörterbücher heraus und ihre Vertreter saßen als Beisitzer im Prüfungsausschuss des damaligen Dolmetscher-Instituts der Universität Heidelberg.

Die RfD hatte rund 12.000 Mitglieder, also deutlich mehr als alle heutigen Sprachmittlerverbände in Deutschland und Österreich zusammengenommen. Dies lag aber offenbar auch daran, dass ein gesellschaftlicher und vor allem wirtschaftlicher Zwang entstand, RfD-Mitglied zu werden.

Schutz der Berufsbezeichnung, Verkammerung, Gebührenordnung, Schweigepflicht – Die Nazis waren nahe dran

Der auch heute noch vereinzelt innerhalb und außerhalb der Berufsverbände geforderte „Schutz der Berufsbezeichnung“ samt Verkammerung und Gebührenordnung konnte aber auch von den Nationalsozialisten letztendlich nicht durchgesetzt werden.

Verantwortlich dafür waren Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) sowie in geringerem Umfang auch dem Reichsministerium des Innern und dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung.

Insgesamt gesehen kamen die Nazis dem Sehnsuchtsziel mancher Übersetzer und Dolmetscher aber so nahe wie keine andere Regierung davor oder danach.

Weiterführende Literatur

  • Miriam Winter (2012): Das Dolmetscherwesen im Dritten Reich. Gleichschaltung und Indoktrinierung. Frankfurt am Main: Peter Lang. 112 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-631-63922-1. (Ursprünglich eine prämierte M.A.-Abschlussarbeit am Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) der Universität Mainz in Germersheim aus dem Jahr 2011.)

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Wikipedia

[Text: Richard Schneider. Quelle: Mitteilungsblatt des Bundes National-Sozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ), Heft 1/1936, Seite 4-5.]

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