Am 29.11.2012, dem Tag der geplanten Urteilsverkündung, ist am Kölner Landgericht ein monatelang verhandelter Mordprozess geplatzt, weil eine als Dolmetscherin eingesetzte gebürtige Philippinerin (63) nachträglich für befangen erklärt wurde.
Jetzt müssen die Beweisaufnahme wiederholt und etwa 15 philippinische Zeugen noch einmal mit einer anderen Dolmetscherin angehört werden. Das Gericht legte dafür neun weitere Verhandlungstage fest, an denen 14 Anwälte, 3 Richter, 2 Schöffen und 2 Ersatzschöffen erneut antreten müssen.
In dem Verfahren geht es um das spurlose Verschwinden der Philippinerin Lotis K. im Jahr 2007. Wegen Mordes angeklagt sind deren Ehemann, Schwägerin und Schwager. In der rheinischen Presse wurde der Fall auch als „Mord ohne Leiche“ bezeichnet.
Zeitungsartikel lässt Verfahren platzen
Anlass für die überraschende Wende im Verfahrensverlauf war ein Zeitungsbericht im Kölner Stadt-Anzeiger über eine Demonstration, auf der Gerechtigkeit für die Vermisste 33-jährigen Philippinerin gefordert wurde. Auf einem in der Zeitung abgedruckten Bild ist auch die vom Gericht beauftragte Dolmetscherin zu sehen, wie sie ein Plakat mit einem Foto der Verschwundenen in die Höhe hält.
Den Medien war zu entnehmen, dass die Dolmetscherin schon zwei Wochen zuvor an einer weiteren Kundgebung teilgenommen und in einem Zeitungsinterview kritisiert habe, dass die Angeklagten die Aussage verweigern dürfen. Sie soll für diese lebenslänglich gefordert haben. Nach Angaben der Kölnischen Rundschau soll die Frau auch im Gerichtsfoyer Flugzettel mit Fotos der Vermissten verteilt und über Facebook Kontakt zur Schwester der Vermissten aufgenommen haben.
Der Anwalt des Hauptangeklagten stellte daraufhin einen Befangenheitsantrag. Es bestehe der begründete Verdacht, dass die Dolmetscherin möglicherweise nicht objektiv übersetzt habe. Ein anderer Verteidiger ergänzte: „Es ist erschütternd, am letzten Verhandlungstag festzustellen, dass die Dolmetscherin derart parteiisch ist.“
Nach einer längeren Beratung gab die Vorsitzende Richterin dem Antrag statt. Der Staatsanwalt sprach von einem einzigartigen Vorgang. Er könne seinen Unmut nicht verhehlen und sei „nicht begeistert“.
Der Landgerichtssprecher erklärte: „Normalerweise wissen Dolmetscher über ihre Pflichten Bescheid und verhalten sich neutral.“ Dieser Fall sei äußerst ungewöhnlich.
Dolmetscherin betont, stets korrekt gedolmetscht zu haben
Die kritisierte Dolmetscherin konnte die Aufregung nicht nachvollziehen. Sie betonte, stets korrekt gedolmetscht zu haben.
Schadenersatzforderungen werden geprüft
Die Richterin wies darauf hin, dass der Vorfall für die Dolmetscherin finanzielle Konsequenzen haben könnte. Möglicherweise würden ihr Teile der Kosten für die weiteren Verhandlungstage in Rechnung gestellt.
Dolmetscherin ist prominente Publizistin und Frauenrechtsaktivistin
Wie den deutschen Prozessbeteiligten jetzt erst bekannt wurde, ist die Frau, die auf einer Website als „Ethnologin, Publizistin, Dolmetscherin, Übersetzerin und interkulturelle Trainerin“ bezeichnet wird, bereits seit Jahrzehnten ehrenamtlich in dem 1992 gegründeten „Philippine Womens Network in Europe“ aktiv, das den Namen Babaylan trägt. Sie war im Vorstand des europäischen Verbands tätig und leitet dessen deutschen Ableger (Philippine Women’s Forum Germany e.V.). Die Frauennetzwerke setzen sich unter anderem für eine faire Behandlung philippinischer Migrantinnen und gegen Gewalt gegen Frauen ein.
Die Frau hat darüber hinaus Bücher und Zeitschriftenbeiträge verfasst. Sie hält Vorträge, organisiert Fortbildungsveranstaltungen und scheint unter den in Deutschland lebenden Philippinerinnen eine Prominente zu sein.
Gericht war ahnungslos
Diese Fakten waren dem Gericht zuvor nicht bekannt und wurden vor Prozessbeginn auch nicht geprüft. Dabei hätte eine kurze Google-Recherche nach dem Namen der Dolmetscherin genügt, um seitenweise Treffer zu einem mehr als 30-jährigen sozialpolitischen Engagement zu Tage zu fördern.
Auf welchem Weg die Frau in diesem Gerichtsverfahren zur Dolmetscherin bestellt wurde, ließ sich im Nachhinein nicht mehr nachvollziehen. Sie ist nicht allgemein beeidigt und gehört keinem Sprachmittlerverband an.
Das Problem: Es gibt kaum Dolmetscher für Tagalog
Es ist in Deutschland schwierig bis unmöglich, Dolmetscher und Übersetzer für die auf den Philippinen am weitesten verbreitete Sprache Tagalog zu finden. Die Online-Mitgliederdatenbanken von BDÜ, ATICOM und ADÜ Nord liefern deutschlandweit keinen einzigen Treffer.
Das von der Justizverwaltung betriebene Verzeichnis der Gerichtsdolmetscher und -übersetzer unter www.justiz-dolmetscher.de enthält bundesweit lediglich fünf Einträge von allgemein beeidigten Gerichtsdolmetschern für diese Sprache.
[Text: Richard Schneider. Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger, 2012-11-29; Kölnische Rundschau, 2012-11-29, 2012-11-30; Express, 2012-11-30.]