Germersheim: Ausbildung zum Fachdolmetscher im sozialen, juristischen und medizinischen Bereich


Dolmetschinszenierung: Simuliert wird ein Beratungsgespräch im sozialen Bereich

Erstmals gibt es nun auch in Deutschland die Möglichkeit, sich an einer Universität zum Fachdolmetscher oder zur Fachdolmetscherin für einen Einsatz in sozialen, juristischen oder medizinischen Bereichen wie Frauenhäusern, Jugendamt, Polizei und medizinischen oder therapeutischen Einrichtungen auszubilden. Der Studienschwerpunkt „Fachdolmetschen“ kann im reformierten Masterstudiengang „Translation“ des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in Germersheim studiert werden. Am Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik haben 25 Studierende aus acht verschiedenen Kulturen schon vor zwei Monaten mit dieser Ausbildung begonnen. Die Lehrangebote an diesem Arbeitsbereich werden vom Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Rheinland-Pfalz unterstützt.

In klassischen Migrationsländern wie den USA, Kanada, Australien oder auch in skandinavischen Ländern und in Großbritannien ist das „Community Interpreting“ schon seit Jahrzehnten ein Regelangebot, um die Eingliederung von Migranten zu erleichtern. In Deutschland beginnt sich erst langsam ein Bewusstsein über die Bedeutung von professionellen Dolmetschdiensten zu bilden. „Landsleute, Nachbarn, Angehörige und vor allem die Kinder sind schon seit den Anfängen der Arbeitsmigration nach Deutschland als Laiendolmetscher und Sprachhelfer im Einsatz“, erläutert Dr. Şebnem Bahadır vom Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik. „Infolge der globalen Migrationsbewegungen und der stärkeren Internationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft wird aber auch Deutschland nicht darauf verzichten können, gut ausgebildete Fachdolmetscherinnen und Fachdolmetscher einzusetzen, um den Bedarf an qualitativer interkultureller Vermittlung auch hierzulande zu decken.“

Die Ausbildung zum Fachdolmetscher kann beginnen, wer neben einer hohen muttersprachlichen Kompetenz auch über sehr gute Deutschkenntnisse verfügt. Allerdings richtet sich der Schwerpunkt nicht nur an Studierende mit Deutsch als Fremdsprache, auch deutsche Studierende mit sehr guten Fremdsprachenkenntnissen können mitmachen. Das Studium selbst ist sehr praxisorientiert und bindet Fachkräfte aus z.B. Frauenhäusern oder anderen Einrichtungen ein. In einem Praktikum am Ende der zwei Semester, d.h. nach dem erfolgreichen Besuch aller Lehrveranstaltungen, können die Studierenden dann erste Dolmetscherfahrungen sammeln.

Dolmetschinszenierung
Dolmetschinszenierung zu Fällen familiärer Gewalt

Die Lehrveranstaltungen werden nach der innovativen Lehrmethode der „Dolmetschinszenierungen“ durchgeführt. Die Methode hat Bahadır speziell für diese Ausbildung entwickelt. Bei diesem Ansatz werden räumliche, körperliche, verbale und nonverbale, emotionale und psychologische Einflussfaktoren der Kommunikation aus den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten nicht nur untersucht und diskutiert: Die Studierenden erarbeiten gemeinsam mit Dozenten, Tutoren und Fachkräften die dolmetschervermittelten Szenarien und spielen in den Inszenierungen die Dolmetscherrolle. In diesem interaktiven und kooperativen Lehr- und Lernumfeld wird auch eine professionelle Berufsethik entwickelt, für die sich die Studierenden mit den politischen, kulturellen und sozialen Zusammenhängen in dem jeweiligen Einsatzfeld, wie z.B. einem Frauenhaus, auseinandersetzen.

„Damit möchten wir neue Qualitätsstandards setzen und neben den niedrigschwelligen Qualifizierungsmaßnahmen auf dem Niveau der Berufsaus- und -weiterbildung nun eine akademische Ausbildung anbieten, die auch eine klare Forschungsorientierung hat“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Dilek Dizdar. Germersheim als eine der weltweit größten Ausbildungsstätten für Übersetzer und Dolmetscher und der Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik mit seiner langjährigen Grundlagenforschung und Methodenentwicklung im Bereich der Translationsdidaktik bieten die ideale Plattform für eine Masterausbildung für Fachdolmetscher und Fachdolmetscherinnen.

Das Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Rheinland-Pfalz fördert die Entwicklung des neuen Studienschwerpunkts, indem in begrenztem Umfang Tutorinnen und Lehrbeauftragte finanziert und Fachkräfte aus relevanten Einrichtungen entsendet werden. Die Kooperation zwischen dem Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik und dem Ministerium umfasst auch die Organisation von Praktikumsplätzen und wird im nächsten Jahr dahingehend ausgeweitet, dass Fort- und Weiterbildungen für praktizierende Fachdolmetscherinnen und Fachdolmetscher wie auch Fachkräfte konzipiert und in Germersheim angeboten werden sollen. Es laufen im Moment auch Gespräche mit medizinischen Einrichtungen und Organisationen, um mehr medizinische Fachkräfte mit in die Ausbildung einzubinden.


Diskussion bei einer Dolmetschinszenierung mit Fachkräften und Studierenden

Es handelt sich bei diesem Lehrangebot am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft um eine Spezialisierungsmöglichkeit im Rahmen des allgemeinen Masters Translation, der ab Wintersemester 2013/2014 anläuft. Seit Oktober 2012 besteht eine Kooperation zwischen dem Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik an diesem Fachbereich und dem Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Rheinland-Pfalz, die es ermöglicht hat, dass Studierende der Interkulturellen Germanistik schon an einem Wahlpflichtmodul Fachdolmetschen teilnehmen können.

www.fb06.uni-mainz.de/deutsch

[Text: Dr. Şebnem Bahadır. Quelle: Informationsdienst Wissenschaft, 2013-01-09. Bild: Dr. Şebnem Bahadır.]