Unwörter des Jahres 2012: Opfer-Abo, Pleite-Griechen, Lebensleistungsrente

Unwort des JahresDie sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ hat das Wort „„Opfer-Abo““ zum Unwort des Jahres 2012 erklärt. Begründung: Im Herbst 2012 habe Jörg Kachelmann in mehreren Interviews (z. B. im Spiegel vom 08.10.2012) davon gesprochen, dass Frauen in unserer Gesellschaft ein „„Opfer-Abo““ hätten. Mit diesem könnten sie ihre Interessen in Form von Falschbeschuldigungen -– unter anderem der Vergewaltigung -– gegenüber Männern durchsetzen. Nach Ansicht der Jury stellt das Wort „„Opfer-Abo““ in diesem Zusammenhang Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein.

Das hält die Jury angesichts des Sachverhalts, dass nur 5-8 % der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen tatsächlich die Polizei einschalten und dass es dabei nur bei 3-4 % der Fällen zu einer Anzeige und einem Gerichtsverfahren kommt,1 für sachlich grob unangemessen. Das Wort verstoße damit nicht zuletzt auch gegen die Menschenwürde der tatsächlichen Opfer.

Die Jury urteile damit nicht darüber, ob und inwiefern Einzelpersonen von Verleumdungen betroffen sein können und somit auch nicht über den Fall Kachelmann. Sie kritisiere vielmehr einen Wortgebrauch, der gängige Vorurteile in Bezug auf eine Vortäuschung von Vergewaltigungen oder eine Mitschuld der Frauen bestätige. Ausdrücke dieser Art drohten letztlich „den zivilgesellschaftlichen und juristischen Umgang mit sexueller Gewalt in bedenklicher Weise zu beeinflussen“, so die Jury.

Weitere Unwörter für das Jahr 2012 sind nach Ansicht der Jury:

Pleite-Griechen

Begründung: Der im Kontext der Euro-Stabilitäts-Debatte von der „Springer-Presse“ in den vergangenen Jahren geprägte Ausdruck „Pleite-Griechen“ sei 2012 weiterhin und unreflektiert verwendet worden. Er diffamiere ein ganzes Volk und damit auch einen Teil der in Deutschland lebenden Bevölkerung in unangemessener und unqualifizierter Weise.

Lebensleistungsrente

Begründung: Die Jury rügt das Wort „„Lebensleistungsrente““ als eine irreführende bis zynische Bezeichnung für ein Vorhaben, bei dem unter sehr restriktiven Bedingungen eine geringfügige Zusatzleistung des Staates versprochen werde. Mit diesem komplexen Wort werde der Bedeutungsgehalt des Wortes „„Lebensleistung““ ausgenutzt, um eine für den Einzelnen marginale staatliche Leistung als Maßnahme gegen Altersarmut zu verkaufen. Sachlich unangemessen sei die Bezeichnung auch, weil mit ihr die „Lebensleistung“ von Menschen auf die für diese Rente vorgegebenen Bedingungen reduziert werde, und zynisch sei sie gegenüber denjenigen, die eine solche „Lebensleistung“ aus familiären oder gesundheitlichen Gründen nicht zu erbringen in der Lage seien.

Unwort-Statistik 2012

Für das Jahr 2012 wurden 1.019 verschiedene Wörter eingeschickt. Die Jury erhielt insgesamt 2.241 Einsendungen. Die häufigsten Einsendungen waren „„Schlecker-Frauen““ (163), „„Anschlussverwendung““ (125), „„moderne Tierhaltung““ (102), „„Ehrensold““ (88) und „„Lebensleistungsrente““ (40).

Die Jury: institutionell unabhängig, aber politisch auf dem linken Auge blind

Die Jury der institutionell unabhängigen Aktion „„Unwort des Jahres““ besteht aus folgenden Mitgliedern: den vier Sprachwissenschaftlern Prof. Dr. Nina Janich/TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Zürich), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie dem Journalisten Stephan Hebel (Frankfurter Rundschau). Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr Ralph Caspers (WDR; z. B. „Sendung mit der Maus“, „Wissen macht Ah!“) beteiligt.

Wie schon in den zwei Jahrzehnten zuvor, so fällt auch in diesem Jahr auf, dass ausschließlich Wörter kritisiert werden, die der veröffentlichten, links-feministischen Konsensmeinung nicht in den Kram passen. Verquaste, verlogene und nicht selten diffamierende Wortschöpfungen von Soziologen, die der Political Correctness oder dem Gender Mainstreaming huldigen – etwa durch Prägungen wie „“sozialer Brennpunkt““, „„ausländische Mitbürger““ oder „„Mensch mit Migrationshintergrund““ -, werden ebenso ignoriert wie die sprachlichen Entgleisungen sozialdemokratischer, grüner oder linker Politiker.

Die Jury fällt damit in erster Linie ein politisches Gesinnungsurteil und heuchelt sprachwissenschaftliche Kriterien nur vor. Es bestand die Hoffnung, dass sich mit dem Abgang des Initiators Prof. Dr. Horst Dieter Schlosser, der von 1991 bis 2011 als Sprecher der Jury fungierte, daran etwas ändern würde. Aber die sprachkritische Aktion „„Unwort des Jahres““ scheint weiterhin ein privater Stammtisch linker Professoren bleiben zu wollen. Schade.

www.unwortdesjahres.net

[Text: Aktion „Unwort des Jahres“, in den Konjunktiv gesetzt und kommentiert von Richard Schneider. Quelle: Unwort des Jahres, Pressemitteilung 2013-01-15. Bild: Unwort des Jahres.]

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