Hermann Kusterer über das Dolmetschen und die deutsch-französische Aussöhnung

Hermann Kusterer fungierte über Jahrzehnte hinweg als Dolmetscher für deutsche Kanzler, Präsidenten und Außenminister bei ihren Auslandsreisen und bei Begegnungen mit großen Staatsmännern wie Churchill und Kennedy. Der heute 85-Jährige war lange Jahre Chefdolmetscher im Auswärtigen Amt.

Am 30. Mai 2012 erhielt Hermann Kusterer aus den Händen des französischen Botschafter Maurice Gourdault-Montagne die Insignien eines Offiziers der Ehrenlegion. In seiner Rede würdigte der Franzose die Dolmetschleistung Kusterers bei den zahlreichen Treffen zwischen deutschen Bundeskanzlern und französischen Präsidenten ab 1958, insbesondere zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle in der Geburtsstunde der deutsch-französischen Freundschaft. Kusterer, so der Botschafter, sei ein „Zeitzeuge der wichtigsten Momente des europäischen Aufbauwerks und der deutsch-französischen Aussöhnung“.

Auch bei der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags am 22. Januar 1963 war Kusterer dabei. Aus Anlass der 50-Jahr-Feiern zur deutsch-französischen Aussöhnung hat Radio Bremen am 22.01.2013 ein halbstündiges Gespräch mit Kusterer gesendet. Es wurde in Bonn in Kusterers Arbeitszimmer aufgenommen, da Kusterer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr reisen kann.

Hermann Kusterer war 1963 Chefdolmetscher im Auswärtigen Amt und dolmetschte bei de Gaulles Deutschlandreise dessen Reden ins Deutsche, während de Gaulles Dolmetscher Jean Meyer Adenauer ins Französische übertrug. Auf diese Arbeitsweise hatten sich die beiden Dolmetscher geeinigt, weil Französisch nicht Kusterers stärkste Sprache war. Seine Hauptarbeitssprache ist Englisch. Als Dolmetscher für de Gaulle wurde er nur eingesetzt, weil es hieß, dass de Gaulle einen Mann als Dolmetscher wünsche – was wahrscheinlich gar nicht stimmte.

Kusterer berichtet, dass in den 1960er Jahren praktisch nur konsekutiv gedolmetscht wurde, und zwar nicht nur in kurzen Abschnitten von 5 bis 10 Minuten. Er habe bis zu 45-minütige Reden konsekutiv gedolmetscht. D. h. erst habe der Redner 45 Minuten gesprochen und dann 45 Minuten der Dolmetscher. Wenn heute fast nur noch simultan gedolmetscht werde, dann redeten die Leute eigentlich gar nicht mehr miteinander – sie würden nur noch „miteinander telefonieren“.

Kusterer wurde 1927 geboren, kam nach dem Krieg aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück und hat 1946 Abitur gemacht. Eigentlich wollte er Jura studieren, konnte aber nicht die dafür notwendigen „Trümmerräumzeiten“ nachweisen. (Man musste nachweisen, dass man so und so lange beim Wegräumen der Bombentrümmer geholfen hatte.)

Dann las er in der Zeitung, dass die Franzosen in Germersheim eine Dolmetscher-Hochschule eröffnet hätten und schrieb sich dort ein. Das Institut gehört heute als Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwisschenschaft (FTSK Germersheim) zur 100 Kilometer entfernt gelegenen Universität Mainz. Diese Studien- und Berufswahl als „zentrale Weichenstellung“ hält er rückblickend für „Fügung“. Sein Leben wäre sonst völlig anders verlaufen.

Charles de Gaulle, der ganz passabel Deutsch sprach, hielt große Dinge auf Kusterer: „Sie verstehen den Kern meiner Gedanken. Und wenn Sie sie übersetzen, bringen Sie sie manchmal noch besser zum Ausdruck.“

Der Élysée-Vertrag habe zwar 50 Jahre gehalten, aber die Erwartungen nicht ganz erfüllt. „Wir sind leider nicht so groß wie de Gaulle uns meint. Empfinden wir uns noch als deutsches Volk? Ich weiß es gar nicht.“ Es fehle an Zusammenhalt und Zusammengehörigkeitsgefühl. Da sei in den letzten Jahrzehnten durch eigene Schuld viel verloren gegangen. In gewisser Weise hätten die Deutschen sich selbst aufgegeben. „Den Deutschen fehlt das richtige, ausgewogene Nationalgefühl“, so Kusterer.

Das Gespräch mit Hermann Kusterer steht auf der Website von Radio Bremen als Podcast (Audiodatei, 35:28 Minuten) zur Verfügung.

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[Text: Jessica Antosik. Quelle: radiobremen.de, 22.01.2013; ambafrance-de.org, 12.06.2012.]