Alice Munro, die vor Kurzem den Literaturnobelpreis gewonnen hat, ist in China fast komplett unbekannt. Dies liegt vor allem daran, dass nur eines ihrer Werke ins Chinesische übersetzt wurde. Dies verdeutlicht die gravierenden Probleme der chinesischen Übersetzungsbranche.
Als Alice Munro am 10. Oktober 2013 den Nobelpreis für Literatur erhielt, rechnete sie wahrscheinlich nicht damit, dass sie chinesische Übersetzer wirklich blamieren würde. Ihr Name war den chinesischen Lesern alles andere als vertraut, da mit dem 2004 veröffentlichten Roman „Runaway“ lediglich eines ihrer Werke ins Chinesische übersetzt wurde.
Die Beijing Youth Daily benannte drei Probleme bezüglich der chinesischen Übersetzungsbranche, die Munros Ehrung am 14. Oktober offenbarte.
Mangel an guten Literaturübersetzern
Das erste Problem sei der Mangel an „Meister“-Übersetzern in China. China habe keinen Mangel an Übersetzern, aber wirkliche „Meister“-Übersetzer, solche, die ein Auge für große Schriftsteller hätten und deren Werke nach China brächten, seien rar. Übersetzer würden oft von Verlagen beauftragt, bestimmte Werke ins Chinesische zu übersetzen, ohne vorher einzuschätzen, ob diese Texte überhaupt übersetzungswürdig seien. Daraus resultiere, dass sie bisher noch nicht die Fähigkeiten und den Einblick entwickelt hätten, um große Schriftsteller wie Munro zu entdecken.
Allerdings wurde in China nicht immer so verfahren. Man muss sich nur an Hu Shi, Lu Xun, Zhou Zuoren und Lin Yutang im frühen 20. Jahrhundert entsinnen, als China auf seinem kulturellen Höhepunkt war, oder an die späteren Qian Zhongshu, Yang Jiang und Fu Lei, deren Übersetzungen Generationen von Chinesen inspiriert haben.
Die meisten dieser Übersetzer waren oft selbst Schriftsteller und verfügten über fundierte Kenntnisse der chinesischen und der westlichen Literatur und Kultur. Heutzutage sind die meisten chinesischen Übersetzer bloße Übersetzungshandwerker.
Es werden nur etablierte und kommerziell erfolgreiche Autoren übersetzt
Das zweite Problem sei, dass derzeit lediglich etablierte und kommerziell erfolgreiche Autoren übersetzt würden. Wie die zeitgenössische chinesische Literatur verfolgten auch die chinesischen Übersetzungen hauptsächlich kommerzielle Interessen. J. K. Rowlings „Harry Potter“ und J. R. R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ seien primär aufgrund der Marktnachfrage und den kolossalen Gewinnen übersetzt worden.
Einige berühmte Schriftsteller würden immer wieder übersetzt, da sie bereits über einen gesicherten Absatzmarkt verfügen würden. Ungeachtet dessen gebe es bereits zahlreiche Übersetzungen ein und derselben Werke, obwohl die bisherigen Übersetzungen manchmal besser seien. Was die nicht so populären Autoren angehe (wie etwa Munro vor ihrem Nobelpreis), so befänden sich deren Werke ganz oben in den Bücherregalen.
Miserable Bezahlung für Literaturübersetzer
Das dritte und letzte Problem sei dann die niedrige Bezahlung für Übersetzer. Der übliche Preis für Übersetzungen liege bei rund 60 Yuan (7,27 Euro) oder im besten Fall bei bis zu 100 Yuan (12,12 Euro) für 1.000 Wörter. Für eine Arbeit von 100.000 Wörtern bekomme ein Übersetzer lediglich rund 6.000 Yuan (727 Euro; Hochrechnung basierend auf dem Standardsatz von 60 Yuan pro 1.000 Wörter). Dies stehe in keinem Verhältnis zu der Mühe, die in eine Übersetzung fließe.
Obwohl Kunst nicht mit Geld gemessen wird, werden Künstler ohne ausreichende Bezahlung verhungern.
Natürlich kann man Lesern vorwerfen, dass ihr Sinn für gute Literatur immer mehr abnimmt, aber Übersetzer sollten für diese Verschlechterung verantwortlich gemacht werden. Immerhin sollten sie den gemeinsamen Geschmack durch die Einführung würdiger Werke anführen.
[Text: german.china.org.cn. Quelle: german.china.org.cn, 16.10.2013. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Luo Xu, Leiter der deutschen Abteilung des China Internet Information Centers, Beijing. Bild: Frankfurter Buchmesse.]