Community Interpreting: Prof. Barbara Moser-Mercer zur Rolle von Dolmetschern in Konfliktsituationen

Ein häufig diskutiertes Thema in Europa ist die Migration aus Ländern, die von Konflikten oder Krisen betroffen sind. Was ist die Rolle von Dolmetschern in humanitären Situationen?

Barbara Moser-Mercer: Das humanitäre Völkerrecht (HVR) bestimmt die Voraussetzungen, die einen humanitären Kontext bedingen. Und obwohl die Begriffe Konfliktzone, Dolmetschen und humanitäres Dolmetschen in der Literatur längst Einzug gehalten haben, müssen sie noch im Rahmen des humanitären Völkerrechts und des internationalen Rechts definiert werden.

Die Unterschiede zwischen humanitärer Hilfe einerseits und Entwicklung bzw. Kapazitätsaufbau andererseits verwischen zunehmend. Dabei kann es zu erheblichen Überschneidungen kommen, so dass es noch schwieriger wird zu ermitteln, wer ein humanitärer Dolmetscher ist und – daraus folgend – was die Rolle solch eines Dolmetschers umfasst und wo sie ihre Dienste anbieten.

Dies wiederum beeinflusst den Umfang der erbrachten Leistungen: sie ermöglichen den Zugang zu Einsatzgebieten für humanitäre Akteure durch die Sicherstellung der Verständigung zwischen ihnen und der Bevölkerung in Not und/oder durch die Unterstützung der Umsetzung der Menschenrechte im Allgemeinen und des Flüchtlingsrechts im Besonderen. Dies könnte als eine formale Definition ihrer Aufgabe betrachtet werden. Wenn letztere Form der Dienstleistung außerhalb der Konfliktzone erbracht wird, was Ihre Frage andeutet, würden wir den Dolmetscher dann noch immer als einen humanitären Dolmetscher ansehen oder als einen, der mit der betroffenen Bevölkerung arbeitet und mit dem humanitären Kontext vertraut sein sollte?

In Ermangelung einer klaren Definition kann es sinnvoll sein, sich auf die Themen zu konzentrieren, mit denen Dolmetscher sich im Rahmen ihrer humanitären Arbeit beschäftigen müssen.

Welche Schulungsmethoden sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten für die Arbeit der Dolmetscher in Konfliktsituationen und als humanitäre Helfer?

Eine der größten Herausforderungen ist der Einsatz von Dolmetschern vor Ort, nicht nur weil der Zugang zu den jeweiligen Gebieten humanitären Akteuren vorbehalten ist – einheimische Dolmetscher können als unterstützendes Personal für humanitäre Akteure und die Durchführung ihrer Arbeit betrachtet werden – sondern auch aufgrund der Tatsache, dass die Arbeit der Dolmetscher überwiegend informeller Art ist und es in der Regel in den Einsatzgebieten keine klar definierten Gruppen von Dolmetschern gibt, die ausgebildet werden könnten.

Um diese Dolmetscher zu erreichen, ist daher der erste Schritt, solche Gruppen über die Arbeit mit humanitären Akteuren vor Ort ausfindig zu machen. Kurzzeitschulungen ohne Folgemaßnahmen bringen nur selten dauerhaften Erfolg, da das Dolmetschen eine Fähigkeit ist, die erst über einen gewissen Zeitraum erworben werden kann.

Aus diesem Grund hat InZone einen kombinierten Ansatz entwickelt: kurzzeitig angelegte Ausbildungskurse vor Ort und im Anschluss daran weiterführende Online-Kurse. Dabei ist es wichtig, die Zusammenhänge sämtlicher Lernaktivitäten, vor allem für die Grundausbildung, herauszuarbeiten, zumal nur wenig Zeit zum Lernen bleibt und die effektivste Methode zur Ausbildung eines Dolmetschers die sofortige Anwendung des Gelernten ist. Im Laufe der Zeit sind sie dadurch in der Lage ihre Fähigkeiten zu perfektionieren.

Das Dolmetschen in einer humanitären Situation ist eine heikle Angelegenheit. Welche ethischen Standards muss der Dolmetscher während der Arbeit aus Ihrer Sicht beachten?

Alle Akteure der humanitären Hilfe, und dazu gehören auch Dolmetscher und ihre Ausbilder, sind durch das HVR gebunden. Die wichtigsten humanitären Prinzipien beziehen sich auf Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und dem Do-No-Harm-Prinzip. Sie sind auch in den Grundsätzen der Berufsethik für andere Dolmetschergruppen zu finden.

Doch in Konfliktzonen sind diese Prinzipien bisweilen schwer umzusetzen und oft genug finden sich Dolmetscher in schwierigen Situationen wieder. Die meisten sind sich der Bedeutung ihrer Rolle als Dolmetscher nicht bewusst. Viele von ihnen übernehmen Aufgaben, die sich nicht nur auf das Dolmetschen beschränken sondern auch kulturelle Beratung einschließen. Letzteres ist meist die größte Herausforderung für die Dolmetscher vor Ort im Hinblick auf ihre Anforderungen an Neutralität und Unparteilichkeit.

Teil einer humanitären Hilfsaktion zu sein, birgt eine starke emotionale Belastung. Können Sie Empfehlungen abgeben, wie Ausbilder praktische Fähigkeiten für den Umgang mit diesem psychischen Druck in ihren Unterricht einbinden können?

Die Problematik emotionaler Belastung und indirekter Traumata, mit denen Dolmetscher in humanitären Situationen konfrontiert sind, sollte in der Tat ein integraler Bestandteil unserer Arbeit sein. Bei unseren Feldtrainings haben wir herausragende Beispiele für die Belastbarkeit und den Einfallsreichtum von Dolmetschern gesehen.

Lassen Sie uns nicht vergessen, dass viele Kulturen, die sich in Konfliktsituationen befinden, eine starke mündliche Erzähl- und Performance-Tradition haben und damit natürlich dazu neigen, auf diese Fähigkeiten zurückgreifen, wenn sie sich in Not befinden.

Während unserer Feld- und Online-Trainings nutzen wir diese Ressourcen mit der Absicht, die Dolmetscher dadurch besser auf ihre Arbeit vorzubereiten, anstatt einfach nur die Inhalte des Praxishandbuchs für den Umgang mit der emotionalen Belastung der Arbeit im Einsatzgebiet zu vermitteln. Wir setzen Schauspieltechniken ein und fördern den Erfahrungsaustausch innerhalb der Gruppe der auszubildenden Dolmetscher.

Dadurch helfen wir ihnen bei der Sache zu bleiben, ihre eigenen Fähigkeiten zu entfalten und sich vor allem ihrer Verantwortung bewusst zu werden, im Einsatz keine Probleme anzusprechen, die man vor der Abreise nicht mehr klären kann.

Zum Diskussionsforum auf der InDialog-Konferenz haben Sie fünf Ausbilder mit großem Erfahrungsschatz in einer Vielzahl von humanitären Situationen eingeladen. Welche Themen möchten Sie vor den Teilnehmern von InDialog ansprechen?

Die unterschiedlichen humanitären Situationen sollen den vielfältigen Charakter der Arbeit und Zusammenhänge widerspiegeln. Bei der Ausbildung einer neuen Gruppe von Dolmetschern müssen wir darauf achten, diese Vielfalt innerhalb der übergeordneten rechtlichen Rahmenbedingungen für humanitäre Maßnahmen zu veranschaulichen. Wir möchten auch die Bedeutung der unmittelbaren Arbeit mit den Dolmetschern hervorheben.

Die Ausbilder sind fortwährend beruflich aktiv und stellen sicher, dass die Ausbildung relevant und praktisch ist und wir den rechtlichen Rahmen der humanitären Hilfsaktionen respektieren. Ein umfassendes Verständnis der Zusammenhänge im Einsatzgebiet ist ebenfalls unverzichtbar. Erlebnisberichte aus zweiter Hand sind hingegen keine zuverlässigen Wissensquellen und in Anbetracht der Schwere der Konflikte ist die Verantwortung des Ausbilders umfassender als in vielen anderen Situationen, in denen Dolmetscherausbilder zum Einsatz kommen.

Über Barbara Moser-Mercer

Barbara Moser-Mercer ist Professorin für Konferenzdolmetschen und Leiterin der Dolmetschabteilung der Faculté de traduction et d’interprétation der Universität Genf. Neben ihrer Lehrtätigkeit ist sie nach wie vor selbst als Konferenzdolmetscherin aktiv und Mitglied der AIIC.

Moser-Mercer gehört zu den Referenten der in Berlin vom 15. bis 16.11.2013 stattfindenden Konferenz „InDialog – Community Interpreting heute“.

www.indialog-conference.com

[Text: ICWE GmbH. Quelle: Pressemitteilung ICWE GmbH, 2013-04-16.]