In einem Verfahren wegen Menschenhandels endete der erste Prozesstag vor dem Landesgericht Wiener Neustadt damit, dass die Verteidigung Kritik an den im Ermittlungsverfahren durchgeführten Übersetzungen übte und die Übersetzerin direkt attackierte, die die Tageszeitung Der Standard schreibt:
„Frau Dolmetscherin, die Anklage stützt sich zum Großteil auf die TÜ-Protokolle [Telefonüberwachung]. Die haben Sie alle übersetzt?“ – „Ja.“ – „Wir haben jetzt wenige Telefonaufzeichnungen gehört, die sind alle minutenlang und kommen im Protokoll nur mit wenigen Sätzen vor. Dann schreiben Sie im Protokoll, da kommen diese und jene Namen vor, aber im Gespräch hört man sie nicht. Sie werden verstehen, dass mir das aufstößt.“
Die Verteidigung wirft der Dolmetscherin vor, zu Lasten der Angeklagten eigene Interpretationen hinzugefügt zu haben. Sie beantragte deshalb, die Sprachmittlerin im Zeugenstand zu befragen. Die Frau ist auch in der Hauptverhandlung als Dolmetscherin für die in Afghanistan gesprochene Sprache Dari tätig.
Angeklagt sind sieben Pakistaner, ein Inder und ein Afghane, denen vorgeworfen wird, banden- und gewerbsmäßig als Schlepper für Pakistaner tätig gewesen zu sein, die über Ungarn nach Österreich geschleust wurden.
Die Anklage stützt sich hauptsächlich auf abgehörte Telefonate, die auf Urdu, Punjabi und Dari geführt wurden.
Übersetzungen und Verdolmetschungen als verfälscht oder unvollständig darzustellen, ist eine gängige und beliebte Taktik von Verteidigern, mit der Gerichtsdolmetscher rechnen müssen.
Richard Schneider